Full text: Lesebuch in Lebensbildern für Schulen (3)

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er bei sich erzogen und wegen seiner Zuverlässigkeit und Anhänglich¬ 
keit seines vollen Vertrauens gewürdigt hatte, nahm er als Begleiter 
mit sich. Als sie aber beide so allein mit einander zu Pferde die Reise 
machten, erwachte in dem Herzen des Bedienten die Begierde, reich 
zu werden, so lebhaft imt> wurde von ihm so wenig bekämpft, daß er 
endlich den Entschluß faßte, seinen Herrn zu ermorden. Schnell war 
diese That vollbracht. Mit der eigenen Pfftole des Herrn erschoß er 
denselben, als dieser vom Pferde gestiegen war und warf ihn, nach¬ 
dem er ihn berauht hatte, in den nächsten Kanal. Sodann reiste er 
nach England und ließ sich dort in einer kleinen Stadt nieder. Schlau 
fing er erst einen kleinen Handel an, damit sein Wohlstand natürlich 
zu wachsen schien. Man hielt ihn für einen tüchtigen Geschäftsmann, 
als er nach und nach seinen Handel erweiterte. Er heirathete die Toch¬ 
ter einer ansehnlichen Familie, und da sein Betragen vollkommen wür¬ 
dig erschien, wurde er unter die Mitglieder des Magistrats aufgenom¬ 
men , ja endlich selbst Bürgermeister. " Allgemeine Achtung wurde ihm 
stets zu Theil. Einst saß er zu Gericht wegen einer Mordthat, die 
ein Diener an seinem Herrn verübt hatte. "Die Geschwornen hatten 
schon das „Schuldig" ausgesprochen. Der Rath war versammelt, der 
Missethäter vorgeführt, es fehlte nur noch das Bestätigungswort des 
Oberrichters, auf welches Alle warteten. Er schwieg lange; plötzlich 
aber änderte sich seine Gesichtsfarbe, er zitterte. Man glaubte, eine 
Krankheit habe ihn befallen. Da sprang er, gequält von schrecklicher 
Angst, von seinem Sitze auf, stellte sich neben den Mörder vor die 
Schranken und rief: „Geschworne! Gott ist ein gerechter Richter! 
Hier stellt er euch einen größeren Verbrecher, als diesen, vor, nachdem 
er dreißig Jahre seine Schandthat verborgen hatte! Ich selbst habe 
meinen theueren Herrn, meinen Wohlthäter, der mich aus dem Staube 
hervorgezogen hat, schändlich ermordet! Meine Stunde ist gekommen. 
Höllenangst foltert mein Gewissen. Ich begehre mein Recht. Sprecht 
mein Todesurtheil aus!" — Entsetzen ergriff die ganze Versammlung. 
Man führte ihn endlich ins Gefängniß, untersuchte die Sache genau 
und schrieb deßhalb nach Holland. Und als alle Aussagen seine eige¬ 
nen Anklagen völlig bestätigten, wurde er zum Tode verurtheilt und 
enthauptet.' 
O wie sanft ist dein Gebot, Herr, wie leicht dein guter Wille, 
Sorge weicht und Erdennoth, wenn Gewissensruh' und Stille in dem 
reinen Herzen wohnt und den Fleiß der Tugend-lohnt. Aber ach, ist 
er entfloh'n, des Gewissens sanfter Friede, dann wird Qual der Sünde 
Lohn, und ihr Dienst macht krank und müde. Keine, keine Freude 
blühst, wo des Herzens Unschuld fliehst. 
243. Religiöse Gefühle. 
Wenn das liebe Thal um mich dampft, und die hohe Sonne an 
der Oberfläche der undurchdringlichen Finsterniß meines Waldes ruht, 
und nur einzele Strahlen sich in das innere Heiligthum stehlen; wenn 
ich dann im hohen Grase am fallenden Bache liege, und näher an
	        
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