Die so viel bedauerte und doch so zäh festgehaltene politische
Zerspaltung ist es besonders gewesen, die all diesen fremden Einflüssen
die Tür öffnete, keineswegs ausschließlich durch historische, sondern
wesentlich auch durch geographische Verhältnisse begründet, durch jene
ungemeine Mannigfaltigkeit der Bodengestaltung und des innern Baues,
die das Entstehen eines politischen Mittelpunktes hinderte, gefördert,
hat daneben die territoriale Bildung vieler Kleinstaaten, besonders bei
der unseren Stämmen eigentümlichen Sprödigkeit ihres Wesens, auch
die geistige Bildung noch mehr vermannigfachen und erweitern Helsen.
Aus den vielgliederigen Stammesbesonderheiten ist eine Fülle von
Bildungsstrahlen hervorgebrochen, der Hang zu freier Selbstbestimmung
hat in allen Verhältnissen der materiellen und geistigen Arbeit eine
Menge von Zuflüssen zugeführt, die Betonung der einzelnen wie der
Stammespersönlichkeit dem deutschen Genius seine Selbständigkeit, der
deutschen Sittlichkeit ihre Tiefe und Frische gesichert und endlich unter
den einzelnen Stämmen jenen regen Wetteifer des Schaffens hervor¬
gerufen, dessen Ergebnisse wieder dem nationalen Ganzen zugute kommen.
Während Spanier und Franzosen erfolglos ihre Kräfte vergeudeten
in dem Streben nach großen, einheitlich regierten Staatsgebieten, machte
sich der individualistische Trieb der Germanen fortwährend auch in
ihren Staatsbildungen geltend: alles strebte darin nach Selbständigkeit
und Selbstregierung der natürlichen Staatsteile, nach landschaftlicher
Sonderung, nach kleinen Staatsgebieten und höchstens, wo sich größere
Volksstämme in einem Staate zusammenschlossen, nach föderativer Ver¬
einigung. Diese kleinstaatliche Verfassung gab dem Leben der ger¬
manischen Nationen überall, im Gegensatz zu den nach außen strebenden
romanischen Staaten, einen Zug inneren Lebens und friedlicher Neigung.
Wie jener wunderbare Banjanenbaum Indiens, der seine Äste in
den Boden senkt, daß sie, als Stämme wieder aufsteigend, die hoch
im Luftraum sich wiegende Krone tragen, jeder gesondert für sich
und doch durch des Mutterstammes Wurzelkraft genährt und zu einem
Organismus verbunden — so ist Deutschland. Die deutsche Art be¬
seelt doch alle die einzelnen Stämme, auch wo sie von dem deutschen
Reichskörper getrennt sind, und ihre Krone ist die Einheit im Reiche
des Geistes. Diese Einheit, in jahrhundertelangen tapferen und schmerz¬
lichen Kämpfen errungen, zu bewahren, sie gegen alle Bedrohung,
sei es von jenseit der Alpen, sei es von jenseit des Rheins oder des
Njemens, sicherzustellen, sie mehr und mehr dem ganzen Volke zum