Full text: Fünfzehn Jahrhunderte (Bd. 2, Abth. 1)

Das fränkische Reich bis auf Karl den Großen. 143 
dessen Kenntniß hauptsächlich aus dem Gesetzbuch Alarichs II. geschöpft 
wurde. Die germanischen Gesetzbücher haben im Lause der Zeit Zusätze 
und Veränderungen erhalten, welche der Ausbildung der neuen Verhält¬ 
nisse, und namentlich, wo die Abfassung der Bücher aus heidnischer Zeit 
stammt, den durch das Christenthum zur Geltung gekommenen Grundsätzen, 
entsprechen. Dazu gehören vornehmlich die Bestimmungen über die 
Strafen, welche auf Vergehen an kirchlichen Gütern und Personen fol¬ 
gen sollten. Gegenüber der Gewalt befestigte sich eine Ueberzeugung 
von vorzugsweiser Unverletzlichkeit eines Gutes, das auf friedlichem 
Wege erworben war und zu dessen Schutz nicht die Gewalt bereit stand. 
Die geistlichen Personen hatten den Vorzug des höchsten Wehrgeldeö. 
Die Gesetze verpflichteten den Todtschläger zu einer mit jenem Namen 
bezeichueten Zahlung an die Angehörigen des Ermordeten, nicht um das 
Leben eines Menschen durch Geld aufzuwägen, sondern um die Ausübung 
der den Germanen noch immer geläufigen Blutrache zu hemmen. Hier¬ 
bei war für den Priester, wie für den Dieustmann oder unmittelbaren 
Lehensträger des Königs, ein höheres Wehrgeld festgesetzt. Das geistige 
Uebergewicht, welches auf Seiten der Kirche war, wurde in sofern an¬ 
erkannt und auch für die Negierung des Reiches benutzt, als man die 
Bischöfe, die Seitens der römischen Bevölkerung als Beschützer und 
Vermittler angesehen wurden, wegen der zum Negieren nöthigen Kennt¬ 
nisse, die sich vorzugsweise bei ihnen fanden, in den wichtigsten Geschäf¬ 
ten des Staates gebrauchte. Wie sich im Reiche eine Aristokratie aus¬ 
bildete und die königlichen Dienstmanuen sowohl der Volksgemeinde die 
altherkömmliche Entscheidung entzogen, als den Königen beschränkend 
gegenübertraten, wurden die Bischöfe zum Theil Mitglieder dieser Aristo¬ 
kratie, und die Versammlungen, auf welchen Staatsangelegenheiten zu 
entscheiden waren, wurden gemischte Versammlungen geistlicher und weltli¬ 
cher Großen, indem die Bischöfe entweder auf den Reichsversammluugen 
erschienen, oder die Synoden gleich denen des westgothischeu Reiches be¬ 
nutzt wurden, um unter Zuziehung weltlicher Großen Staatsgeschäfte zu 
erledigen. In dem Maße, wie die ehemaligen Gefolgsherren durch 
das Lehenwesen zu einem zahlreicheren und mächtigeren Stande erwuch¬ 
sen, wurde auch die Uebertragung der Lehen auf die Söhne üblich, und 
der Stand wurde ein bestimmt abgegrenzter, mit erblichen Vorrechten 
ausgestatteter, ein Adel. Mit dieser Veränderung hängt die Ausbildung 
des Amtes des Major Domus oder des Obersten des Hauses zusammen. 
Während diesem Beamten durch seinen Namen neben andern für die 
Hofhaltung des Königs thätigen Beamten, wie dem Schenken, dem 
Truchseß, dem Marschall, dem Kämmerer, seine Stelle angewiesen wird, 
erhob er sich im Laufe der Zeit durch den Einfluß, den er auf die 
Lehengeschäfte hatte, zum mächtigsten Manne im Reiche. Da ihm die
	        
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