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56. Der Zinsgroschen von Tizian.
in das klare Angesicht des Heilands, welches in dunklem, hinunterfließen—
dem Haupthaar schwärmerisch bleich erscheint.
Es sind die edelsten Formen und Züge, in welchen das Antlitz des
Gottessohnes uns erscheinen konnte, und dennoch porträtartig, deshalb
fast unheimlich, da wir gewöhnt sind, das Göttliche in idealer Form zu
denken; hier ist es mit allen seinen Ansprüchen an das wirkliche Dasein
uns menschlich nahe gerückt. Das Wort ist hier Fleisch geworden, um
es in jedem Blutstropfen zu überwinden und zu vergeistigen. Wie mild
und doch streng zugleich ist dieses Antlitz! So weich auch die Lider sich
auf die Augensterne senken, so liegt doch in den edlen Linien eine un—
nahbare Erhabenheit. In welchen einfachen, edlen Linien senkt sich die
Nase von der klaren Stirne herunter! Dagegen verlängert sich die
Oberlippe über das Ideale hinaus, wie wir dies bei träumerischen, zur
Schwermut geneigten Menschen gewöhnlich finden, und doch ist in ihrer
scharfen Zeichnung der geringste Schein des Weiblichen und Hingeben—
den vermieden; ebenso feingefühlt ist das gelinde Hervortreten der Unter—
lippe im gezügelten, aber doch möglichen Zorne über die nahegetretene
Gemeinheit.
Hier sehen wir nicht den Jesus, welcher der Menschheit einen
trägen, dumpfen Frieden, sondern das Schwert des Kampfes gebracht
hat. Er konnte der Natur, wie er gethan hat, den Krieg ankündigen,
denn er hatte sie tief in seinem Blute überwunden. Nicht er vor ihr,
sie kniet mit aller Herrlichkeit der Welt vor ihm und betet ihn an.
Ebenso mächtig prägt sich in seinem Gegensatze, im Pharisäer, die
gemeine, tierisch herrschende Natur aus. Wie edel sind auch hier die
Gesichtszüge angelegt, aber entadelt durch den Ausdruck der Gemeinheit,
von welcher sie erfüllt sind. Das hagere Gesicht ist abgemagert in
wüsten Gelüsten, welche sich nicht an das Tageslicht wagten; der kahl—
geschorene Kopf ist mit kurzen Borstenhaaren besetzt, welche in der Sünde
grau geworden sind. Drängt sich die obere Stirne auch wie zu einem
Gedankengehäuse gewölbt hervor, doch fällt sie schwach herab, kneift sich
bei der Nasenwurzel ein und tritt in einem garstigen Wulst wieder
hervor, als wolle sie die Scham über die verlorene Menschenwürde
übertrotzen. Die Nase steht frech wie ein Habichtsschnabel hervor und
scheint den eingekniffenen Mund zu belauern, welcher sich hinter röt—
lichem Haargebüsch verbirgt. Der Trotzwulst der Stirne drückt zugleich
die Augenbrauen so tief herunter, daß sich darunter das Auge wie eine
Katze mit dem falschen Blick verbergen kann. Verschmitzte Runzeln
liegen neugierig um die Augen geringelt wie giftige Schlängelchen, und