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Seiltänzer klettert sie geschickt am Grashalme hinauf, der sich an ihrem
Gewichte hin und her biegt. Droben plündert sie die volle Ähre und hält
sich dabei mit dem Schwänze fest, gerade so, wie es die Affen in heißen
Ländern mit ihrem Wickelschwanze an den Baumzweigen auch tun.
Die anderen Mäuse legen für ihre Jungen in der Erde ein Kämmerchen
an und füttern es mit Moos und weichen Grasblättern, aber die Zwergmaus
macht es den Vögeln nach und baut sich ein Nestchen wie die Rohrsänger
droben zwischen den Halmen. Geschickt weiß sie Fasern und Blätter herbei¬
zutragen und um die Grasstengel zu flechten. So formt sie mit vielem
Fleiße ein kugelrundes Häuschen, das außen einem Büschel welken Grases
gleicht, innen aber sauber geglättet und weich ist. An der Seite des Nest-
chens ist ein kleines Loch als Tür offen gelassen. Wenn das Regenwetter
die Jungen der Erdmäuse in große Gefahr bringt und viele derselben tötet,
liegen die Jungen der Zwergmäuschen in ihrem Lustschlößchen trocken und
sicher. Der Wind wiegt sie und schaukelt sie, und dann wärmt sie der
Sonnenschein.
Kommt im Sommer der Landmann mit Sichel und klingender Sense,
so flüchtet die Zwergmaus wieder hinab in die Erde. Ihre Jungen folgen
ihr hurtig, denn sie sind dann schon erwachsen und so groß und flink wie
die Alten. Der Bauer fährt die Weizcngarben nach Hause zur Scheune
oder baut, wenn diese gefüllt ist, auf dem Felde selbst einen mächtigen
Getreidehaufen auf, um ihn später heimzufahren, sobald er Raum hat.
Zwergmäuschen findet auf seinem Plätzchen nicht viel mehr zu schmausen,
aber es weiß sich zu helfen. Es folgt in aller Stille dem beladenen Fuder
und schlüpft unbemerkt in die Scheune oder in die Getreidehaufen draußen
auf dem Acker. Dort siedelt es sich an, tief drinnen im Strohe. Wenn
draußen im Winter der Sturm pfeift und den Schnee jagt, so sitzt es sicher
und tvarm und findet genug Arbeit für seine Zähne, bis die Frühlingssonne
den Boden des Feldes wieder aufgetaut hat, die Saat wieder gestreut wird
und keimt, und die Insekten wieder von ihrem Winterschlafe erwachen. So
zeigt die winzige Zwergmaus, daß es gar nicht auf die Größe des Körpers
ankommt, sich in der Welt fortzuhelfen, sondern auf das gehörige Geschick,
das einer besitzt. H. Wagner.
IM. Rotz unfc Reiter.
Als ich am 29. Juni 1866 nach Langensalza kam, fand ich auf
Straßen und Plätzen ein ungewöhnliches Menschengewühl. Ich brauchte
nicht lange nach der Ursache zu forschen. Die hannöversche Kavallerie
erschien von nah und fern, um ihre Pferde in die Hände der preußischen
Bevollmächtigten abzuliefern. Vor dem Mühlhäuser Tore geschah die
Übergabe, und hier war das Gedränge von Mensch und Tier am stärksten.
In langen, unübersehbaren Reihen standen Roß und Reiter. Gleich in der
ersten Reihe erblickte ich einen Schimmel, welcher mir sehr bekannt vorkam.
Ich trat näher, richtig, Mann und Pferd gehörten vor der Schlacht zu
meiner Einquartierung. Das schöne Tier hatte schon damals meine Aus-