fullscreen: Lesebuch für Volksschulen

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zu Wormö gefordert. Dort sollte seine Sache gerichtet 
werden. Obgleich Friedrich der Weise ihm sicheres Ge¬ 
leit vom Kaiser erwirkte, so baten ihn doch seine Freunde, 
nicht nach Worms zu gehen. Er aber sagte: „Und wenn 
sie ein Feuer machten, das von Worms bis Wittenberg 5. 
reichte, so wollte ich dennoch mich nicht fürchten." Von 
seinem geliebten Freunde Melanchthon nahm er mit den 
Worten Abschied: „Komme ich nicht wieder und morden 
sie mich, so beschwöre ich dich, lieber Bruder, laß nicht 
ab zu lehren und bei der Wahrheit des göttlichen Worts 10. 
zu beharren; du kannst es noch besser, als ich, und dar¬ 
um ist's auch nicht viel Schade um mich." — Mit Thrä¬ 
nen sahen die Wittenberger ihn scheiden und sandten ihm 
die heißesten Segenswünsche nach. — Neben ihm im 
Wagen saß der kaiserliche Herold, welcher ihn sicher ge- 15. 
leiten sollte. Wie nöthig das war, ersähe man aus den 
vielen päpstlichen Verhaftsbesehlen, die man an allen 
Ecken in den Städten angeschlagen erblickte. Es glich 
aber die Reise fast dem Zuge eines Kaisers. In Schaa- 
rcn strömte ihm das Volk entgegen, um den kühnen und 20. 
geliebten Mann noch einmal zu sehen. „Lieber Bruder 
Martin," hieß es da oft, „gehe nicht hin! denke an Huß!" 
— Welch' ein unerschütterlicher Muth und welch' ein freu¬ 
diges Gottvertrauen ihn aber beseelte, daS hat er aus¬ 
gesprochen in dem Liede: „Ein' feste Burg ist unser Gott," 25. 
daS er auf dieser Reise dichtete. Und als ihn noch kurz 
vor Worms einer seiner Freunde zum Umkehren bewegen 
wollte, da sagte er: „Und wenn so viel Teufel in WormS 
wären, wie Ziegeln auf den Dächern, so wollte ich den¬ 
noch kommen." Am 16. April fuhr er zur Stadt hin- 30. 
ein nach dem deutschen Hofe, wo der Kurfürst von Sach¬ 
sen wohnte. Von allen Seiten strömte das Volk zu 
Tausenden herbei, und kaum konnte der Wagen sich lang¬ 
sam durch die Menge dahin bewegen. Gleich am fol¬ 
genden Tage ward er vor die Versammlung geladen. 35. 
Wegen der außerordentlichen Volksmenge, die sogar die 
Dächer besetzt hatte, um ihn zu sehen, führte man ihn 
durch Gärten und verborgene Gänge nach dem Bischofs¬ 
hof, wo der Reichstag gehalten wurde. Als Luther eben 
eintreten sollte, trat ein grauer Kriegsheld, Georg von 40. 
Frundsberg, an ihn heran, klopfte ihm auf die Schulter 
und sagte: „Mönchlein, Mönchlein, du gehst jetzt einen
	        
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