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ebenfalls eine ganze Drehung, bei andern, wie bei Jupiter und Saturn, schwanken sie gleich
Pendeln innerhalb gewisser Grenzen hin und her. Auch die Excentricitäten der Bahnen
sind innerhalb verhältnismäßig kleiner Grenzen veränderlich, und damit ändert sich auch die
Größe und Form der Bahnen. Endlich bleiben auch die Neigungen nicht unberührt; doch
schwanken auch hier die Aenderungen nur unbedeutend.
Es liegt außerhalb des Zweckes dieses Buches, auf alle Einzelheiten näher einzugehen.
Wir betrachten hier etwas eingehender nur einige Störungen der Erde, die uns im Leben
fühlbar werden, namentlich Ebbe und Flut, sowie die Präcession der Nachtgleichen, welche
letztere mit dem Wanken der Erdachse oder der Nutation verbunden ist.
2. Ebbe und Flut, a) Erscheinung derselben. Zu den interessantesten Erschei¬
nungen, welche der Ocean darbietet, gehört der Wechsel der Gezeiten oder von Ebbe und
Flut. Steht man am Ufer eines offenen Meeres, so bemerkt man im Laufe eines Tages ein
zweimaliges, regelmäßig wiederkehrendes Sinken und Steigen des Wassers; ersteres nennt man
Ebbe, letzteres Flut. Bei eintretender Ebbe gewahrt man an Flachküsten, wie sich das
Wasser allmählich weiter und weiter vom Lande zurückzieht und der Strand breiter und breiter
wird, während man an Steilküsten den Meeresspiegel tiefer und tiefer hinabsinken und manche
verborgene Felsenklippen sichtbar werden sieht. Nachdem das Meer kurze Zeit in seinem tief¬
sten Stande verharret ist, sieht man jede folgende Welle, erst langsam, dann schneller und
schneller, wieder mehr ans Land dringen, um von dem früheren Gebiete wieder Besitz zu
nehmen. Hat das Hochmeer kurze Zeit bestanden, so tritt wieder die Ebbe ein, um später
abermals von der Flut abgelöst zu werden. La jede dieser Erscheinungen ungefähr 6 Stunden
währt, so ereignen sich im allgemeinen täglich 2 Ebben und 2 Fluten. Man pflegt als Höhe
der Flut die halbe Summe zweier nächsten Hochmeere über dem Niveau der zwischen ihnen
liegenden tiefsten Ebbe zu bestimmen, und die gefundene Zahl Totalflut zu nennen.
Verfolgt man Ebbe und Flut mit großer Aufmerksamkeit, so nimmt man bald eine täg¬
liche, eine monatliche und eine jährliche Periode in denselben wahr. So ist die Dauer
zweier Ebben und Fluten nicht 24 Std , sondern genauer 24 Std. 50 Min., so daß eine ent¬
sprechende Tagesflut sich täglich um 50 Min. verspätet. Wie wir uns erinnern, sind 24 Std.
50 Min. die Zeit, in welcher der Mond seinen Tagkreis vollendet, und auf Inseln mitten im
offnen Ocean fällt die Zeit der Hochmeere sehr nahe mit der der oberen und unteren Culmi¬
nation, die der tiefsten Ebben hingegen nahezu mit dem Auf- und Untergange des
Mondes zusammen.
Achtet man auf die Höhe der Fluten, so findet man, daß dieselbe am größten einige
Tage nach dem Neu- und Vollmonde, am geringsten dagegen zurZeit der Mondviertel
zu sein pflegt; erstere Fluten nennt man Springfluten, letztere Nippfluten. In dem Ver¬
laufe der Erscheinung stellt sich also auch eine monatliche Periode heraus, die der Dauer
des synodischen Monats von 29 Tg. 12 Std. gleich ist.
Setzt man die Beobachtung durch das ganze Jahr fort, so bemerkt man, daß die zur
Zeit der Nachtgleichen eintretenden Fluten und Ebben größer als die zu andern Zeiten des
Jahres sind, und zwischen den Winter- und den Sommerfluten findet ebenfalls ein Unterschied
statt, indem die ersteren größer als die letzteren zu sein pflegen.
Aber nicht nur die Zeit, sondern auch der Ort bedingt Unterschiede im Verlaufe der
Erscheinung. So findet eine vollständige Entwicklung derselben nur in offenen, großen
Meeren statt, wohingegen sie in Binnenmeeren kaum zu bemerken ist. Die Erscheinung
schreitet im allgemeinen von 0. nach W. fort; je östlicher ein Ort liegt, desto früher tritt die¬
selbe ein. Außerdem ist wichtig, daß in jedem Augenblick zwei Fluten und zwei Ebben auf
der ganzen Erde angetroffen werden, und zwar an Oertern, die einander gegenüberliegen.
Endlich ist auch die geographische Breite von Einfluß. In dieser Beziehung sind
Ebbe und Flut im allgemeinen am größten am Aequator, und nehmen von hier aus nach
den Polen zu mehr und mehr ab.
b) Erklärung des Phänomens. Das eben Mitgetheilte führt darauf, daß die Haupt¬
ursache der Gezeiten der Mond sei, in zweiter Linie aber die Sonne stehe. Beide Körper
ändern durch ihre Anziehung die Gestalt der Erdkugel ab ; dies vermögen sie aber nur deshalb,
weil große Räume derselben mit Wasser bedeckt sind. Eine einfache Rechnung ergibt das
Verhältnis der Kraft, mit welcher Mond und Sonne auf die Erde wirken. Die Masse der
Sonne übertrifft die der Erde 322800 mal, und da die Erde etwa 80 mal so viel Masse hat als
der Mond, so drückt die Zahl 322800 . 80 r= 25824000 das Massenverhältnis der Sonne
zum Monde aus. Nun wirkt aber die Sonne mit ihrer großen Masse in 386,6 mal so großer
Entfernung als der Mond; darum verhält sich die Anziehung der Sonne auf die Erde zu der
j at j * ,• „ . 25824000
des Mondes auf dieselbe, wie — rj- "■ 1 = 172,78 : 1.
^386,6)
Wetzel, astron. Geographie. -ja