Full text: Der Unterricht in der Erdkunde

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streben, die Vorstellungs- und Begriffswelt des Kindes zu erweitern, darf erst an 
zweiter Stelle stehen und wird nur dann vom rechten Erfolge begleitet sein, wenn 
durch die ordnende und klärende Vorarbeit eine schnelle Apperzeption gewährleistet 
ist. Dazu erfordern in den ersten Jahren Lesen und Schreiben einen so großen 
Teil der kindlichen Arbeitszeit und -kraft, daß an eine umfangreiche Belehrung auf 
anderen Gebieten nicht gedacht werden kann. Wer aber auf Kosten des Lesens 
und Schreibens den kindlichen Geist in neue Fächer einführen wollte, würde seinen 
Bestrebungen selbst hindernd in den Weg treten. Lesen und Schreiben sind nicht 
nur für das spätere Leben, sondern auch schon für die Schule „Bildungsmittel 
ersten Ranges", ohne welche sie ihr Ziel niemals erreichen kann. Daß trotzdem 
in den ersten Schuljahren schon mancherlei, was den realistischen Fächern angehört, 
berührt werden muß, liegt in der Art der Vorstelluugsmassen begründet, die das 
Kind im Elternhause erwarb. 
Ein eigentlicher realistischer Unterricht tritt erst ein, wenn die oben angedeuteten 
Hindernisse in der Hauptsache überwunden sind, also auf der Mittelstufe der 
Volks- und Mittelschulen, in der untersten Klasse der höheren Schulen. Auch der 
erdkundliche Unterricht findet erst bei den Kindern dieser Stufe die ihm nötige 
geistige Aufnahmefähigkeit und technische Schulung. 
Sein Ausgangspunkt ist naturgemäß die Heimat. Das kindliche Jnter- 
esse kommt von allen Belehrungen denen am lebhaftesten entgegen, die an die ihm 
vertraute Umgebung anknüpfen; Fremdes kann erst mit ihrer Hilfe ihm näher gebracht 
werden. Wer den erdkundlichen Unterricht mit der Fremde beginnen wollte, würde 
sich des Vorteils, den die unmittelbare Anschauung gewährt, berauben, würde, da 
die apperzipierenden Vorstellungsmassen aus der Heimat fehlen, ein Gebäude ohne 
Grund aufführen. „Auf der Stelle, wo der Schüler lebt, soll er zuerst in Wirklich- 
keit orientiert werden und das Land in allen seinen Verhältnissen kennen lernen. — 
Die Beobachtung im Vaterlande weckt und schärft den Blick, wie das Urteil für 
die Erkenntnis fremder Länder." (Ritter.) 
Leider wird die hohe Bedeutung einer eindringenden Kenntnis 
der Heimat noch nicht überall recht gewürdigt. Man glaubt oft schon genug 
getan zu haben, wenn man die Kinder in ihr oberflächlich orientiert, und hofft, 
daß das Leben das Fehlende ergänzen werde. Gewiß ist diese Hoffnung nicht 
ganz unberechtigt. Aber vor tueviel unangenehmen Erfahrungen bleibt der Jüngling 
und uoch der Mann bewahrt, wenn die Schule hier ihre Pflicht vollständig und 
mit Eifer tut und die Kinder beobachten lehrt I Dazu kommt, daß der stoffliche 
Gewinn, den eine eingehende Behandlung der Heimat verschafft, nur gering an- 
geschlagen werden kann gegenüber der dadurch erreichten formalen Schulung. 
Nur wo die intensive Geistesarbeit einer wahrhaften Vertiefung in alle Verhält- 
nisse der Heimat einen festen Grund gelegt hat, kann eine wirkliche Kenntnis der 
Fremde durch steten Wechselschluß vermittelt werden. 
Daher muß die Behandlung der Heimat in den Vordergrund 
des erdkundlichen Unterrichts treten und zwar in der Weise, daß der Heimatort, 
seine Umgebung, der heimatliche Kreis, die heimatliche Landschaft, die Heimat- 
Provinz und das Heimatland nacheinander dem kindlichen Geiste möglichst durch 
eigene Anschauung nahe gebracht werden, daß fernerhin die Heimatkunde den 
eigentlichen geographischen Unterricht als Unterrichtsprinzip begleitet, in gleichem 
Maße Förderung spendend und empfangend, daß endlich die geläuterte Erkenntnis
	        
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