Full text: Der Unterricht in der Erdkunde

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das bei allen den Gegenständen der Fall, die in Nachbildung nicht vorliegen oder 
sich derselben gänzlich entziehen. Ja selbst das beste Verauschaulichungsmittel kann 
niemals die Natur ganz ersetzen, da es der sinnlichen Auffassung schwer zu über- 
steigende Schranken setzt. Während die Erscheinungen der Natur durch alle „Tore" 
in unsere Seele ihren Einzug halten, ist dem Veranschanlichnngsmittel gegenüber 
meist allein das Auge tätig. Da ist es die Phantasie, welche, angeregt durch 
das Wort des Lehrers, helfend einspringen muß. Sie ersetzt durch ihr wunderbares 
Spiel mit Leichtigkeit die fehlenden Wahrnehmungen; sie schafft aus Pinselstrichen, 
Linien und Zeichen nicht nur Bild und Karte, sondern ermöglicht uns auch, das 
aus ihnen herauszulesen, was Maler und Kartograph gar uicht darstellen konnten, 
nämlich das Leben in ihnen. So tritt durch sie au die Stelle der äußeren die 
innere, geistige Anschauung. 
Diese kommt zuerst iu Tätigkeit, wenn es sich darum handelt, auf Grund 
des heimatlichen Anschauungsmaterials neue geographische 
Begriffe zu vermitteln. Von der ersten Stunde an, die das Kind über die 
Umgebung des Wohnortes hinaus in den heimatlichen Kreis führt, kann ihm der 
fehlende Begriff nur verschafft werden durch Anlehnung an die Erscheinungen der 
Heimat, die durch die Tätigkeit der Phantasie unter dem leitenden Worte des 
Lehrers zu denen der Ferne im Kindesgeiste sich umgestalten. Wo man diese 
heimatlichen Stoffe und Begriffe im weiteren geographischen Unterricht unbeachtet 
liegen läßt, kommen die Schüler in Gefahr, den Boden unter den Füßen zu ver- 
lieren, fehlt dem Unterricht sein eigentlicher Kern, die Vertiefung ins einzelne. 
Und jedes Fleckchen Erde bietet bei aufmerksamer Betrachtung eine Menge von Er- 
scheinungen, die sich auf der ganzen Erde wiederholen, oft ins Ungemessene ver- 
größert. „Die Natur ist in jedem Winkel der Erde ein Abglanz des Ganzen; 
in dem Gewitterbach kann man die Natur reißender Stromsysteme studieren; jede 
Brunnengrabung liefert Beiträge zu einer Theorie der Erdrinde; in der Moos¬ 
bedeckung auf den Dächern und Wänden lernt man die Anfänge der Pflanzenwelt 
auf Berggipfeln verstehen." (A. v. Humboldt.) „Die Jahreszeiten machen unsere 
Heimat zu Musterbildern der Erdklimate. Die Sonne rückt tiefer, und die Polar- 
zone mit ihrem Schnee- und Eismantel kommt äquatorwärts vordringend auch 
zu uns. Die Sonne steigt, uud die Tropenzone mit ihrer Sommerglut und 
ihren Gewittern stellt sich polwärts strebend bei uns ein; wir können ihre 
Pflanzenpracht und ihre Tierfülle ahnen. Und wessen Heimat in den Alpen liegt, 
der hat die Zonen der Erde jeden Sommer in gleichzeitigem Übereinander stets 
vor Augen. Auch erdgeschichtliche Zeiten werden dadurch lebendig in der Vor- 
stellung, jeder Winter ist eine kleine Diluvialperiode und jeder Sommer eine kleine 
Tertiärzeit. Hier muß das Bild mit eingreifen im geographischen Unterricht: 
der Schüler zerlegt die dargestellten geographischen Erscheinungen des Bildes, ver- 
gleicht sie mit den homologen der Heimat und gestaltet sich, die Abweichungen aus 
den veränderten Bedingungen erklärend, das Übereinstimmende aus dem lebendigen 
heimatlichen Anschauuugskreise übernehmend, ein charakteristisches Vorstellungsbild 
der Ferne. Umgekehrt schließt jedes neu an den Schüler herangebrachte Länder- 
gebiet ein altes Gebiet der Heimat von neuem auf, es erscheint in eigenartiger 
Beleuchtung, und so vertieft sich die Erkenntnis der Heimat mit der Erweiterung 
der Erkenntnis der Ferne. Endlich wird der Schüler dahingebracht, in der Heimat 
— die Erde zu sehen, einen Ausschnitt aus dem Makrokosmos, im Teile das
	        
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