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Sickingens Gestalt und Schicksal gewinnen dadurch etwas
Tragisches, daß wir eine hochbegabte Natur, voll Empfänglichkeit
für neue Ideen, doch an der Wiederbelebung einer abgestorbenen
Welt arbeiten sehen. Freilich bildet den Grundzug dieser Natur
mcht eine selbstlose Hingabe an die Sache des niedern Adels, son¬
dern ein stets wachsender Ehrgeiz, der schließlich in der ritterlichen
und auch m der religiösen Bewegung wirksame Mittel zum Empor¬
steigen zu finden glaubt, nachdem er bei Frankreich und beim Kaiser
seine Rechnung nicht gefunden hat. Nichts war verkehrter, als in
diesem berechnenden Parteigänger, in diesem Ritter, der als Con-
dottiere tn die Höfe kam und im großen Geldverkehr so gut wie
irgend ein Pfeffersack zu Hause war, einen deutschen Zizka, einen
„Vollzieher der Gerechtigkeit" zu sehen. Hier ist nichts von dem
lodernden Fanatismus, der alttestamentlichen Furchtbarkeit des
tschechischen Nationalheros. Es kennzeichnet eben nur die ungestillte
Sehnsucht unserer Nation nach einem Helden, der ihr nicht werden
sollte, daß eine Zeitlang in gewissen Kreisen Sickingen als Anwalt
des armen Mannes und Bahnbrecher des Evangeliums fortleben
konnte; beides schien ja damals noch mit Notwendigkeit zusammen¬
zufallen.
v. Bezold, Geschichte der deutschen Reformation. S. 420—428.
XVIII. Die Reformation.
a) Luthers Abfall.
Nach der Leipziger Disputation 1519 war Dr. Eck nach Rom
geeilt, um dort das Verdammungsurteil gegen Luther zu erwirken.
Am 16. Juni 1520 kam die Bulle zustande. Einundvierzig Sätze
aus den lutherischen Schriften wurden darin als faM, verführerisch, •
anMig oder geradezu ketzerisch bezeichnet. Luther soll, weinTer
bmnen 60 Tagen nicht widerruft, als ein hMMLerKetzer, ein
verdorrt^ Ilst tm der Christenbeit abqebauen werden; alle christ¬
lichen Gewalten sind aufgefordert, sich der Person desselben zu be¬
mächtigen und ihn in die Hände des Papstes zu liefern.
Wie glorreich fühlte sich Eck, als er mit dem Titel eines
päpstlichen Protonotarius und Nuntius in Deutschland erschien!
Er eilte sogleich aus die Schauplätze des Kampfes; noch im Sep¬
tember ließ er die Bulle in Meißen, Merseburg, Brandenburg an¬
schlagen. Indessen ging Aleander den Rhein hinunter, um sie auch
hier in Vollziehung zu setzen.
Allein so weit der Sturm von beiden auch entfacht wurde,
über den einen Ort, auf den es ankam, über Wittenberg, ging er
ohne Schaden hinweg.
In den ersten Monaten des Jahres 1520 hatte sich Luther
ziemlich still gehalten und sich nur etwa gegen die Ohrenbeichte oder