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II. Die Völkerwanderung.
tiegel anheim gefallenen Opfern beklagt der entrüstete Zosimus vor allen
übrigen die nationale Figur der Virtus, mit welcher, wie er sich aus¬
drückt, auch der letzte Rest von Tapferkeit und Tugend bei den
Römern zu Grunde ging.
Nach Empfang des Kaufgeldes entfernte sich der Gothenkönig mit
seinem Heer von Rom und schlug im Tuskischen ein Lager auf, 40,000
Barbarensclaven mit sich führend, welche nach und nach aus der Stadt
zu ihm übergelaufen waren. Er wartete auf die Antwort vom Hofe
von Ravenna, wohin Gesandte des Senates gegangen waren, um den
endlichen Frieden, ein Freundschaftsbündniß, und die Forderung von
edeln Geißeln dem Kaiser in seinem Namen vorzutragen. Aber Hono-
rius oder sein Minister Olympius verwarf die Vorschläge mit um so
weniger begreiflichem Uebermuth, als die Schwäche des Reiches offen¬
kundig, Rom völlig wehrlos, und das Verlangen Alarich's wahrhaft
bescheiden war.
Als er nun wieder vor dem geängsteten Rom erschien, drohte er
gegen die Stadt von Neuem Hunger und Pest loszulassen, wenn sie
nicht, seinem Befehl gehorsam, von dem kindischen Honorius sich lossage.
Der Senat, vielleicht durch einen Aufstand des Volkes gezwungen, gab
nach; er unterwarf sich dem entehrenden Schimpf, aus den Händen
des Gothenkönigs ein kaiserliches Phantom zu empfangen und im Pa-
latium der Cäsaren einzusetzcn. Diese Puppe war Attalus, der von
Honorius zuvor ernannte Prüftet der Stadt.
Der neue Imperator verließ im Gefolge Alarich's Rom, vor den
Mauern Ravenna's sich zu zeigen, um, wie er versprochen hatte, Ho¬
norius aus dieser Festung zu vertreiben. Es währte nicht lange, daß
Alarich, der immerfort mit Honorius wegen des Friedens unterhandelte,
seiner Creatur überdrüssig wurde. Erbittert über die kopflosen Ma߬
regeln, welche Attalus in Afrika gegen den Grafen Heraklian, den Statt¬
halter jener Provinz, angeordnet hatte, ergriff er ihn eines Tages außer¬
halb der Mauern von Rimini, und nahm ihm den Purpur von den
Schultern und das kaiserliche Stirnband vom Haupt, welche Insignien
er hieraus an Honorius sandte. Die Hoffnung jedoch auf einen end¬
lichen Abschluß des Friedens scheiterte, und von Rache nnd Zorn erfüllt,
ließ Alarich sein Heer aus der Nähe von Ravenna plötzlich abziehen
und in Eile im Sturm auf Rom marschiren.
Es scheint, daß Alarich keinen Sturm unternahm, sondern ruhig
abwartetc, was der von Neuem und schrecklicher wüthende Hunger, und
was sein Einverständniß mit den Arianern nnd Heiden in der Stadt
bewirken würde. Dieses aber mußte durch die große Menge der über-
gelaufenen Sclaven sehr erleichtert werden.
Der Fall von Karthago und Syrakus war ein dieser Städte wür¬
diges Ende, aber der Fall des großen Rom unter dem Schwerte Ala¬
rich's erschreckt uns durch die allgemeine und wahrhaft Ekel erregende
Erschlaffung des einst tapfersten Volkes der Erde. Wir sehen nirgend
Widerstand, nur Flucht, Mord, Plünderung und gräuliche Verwirrung,