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Heim und kann stolz sein, denn er verdankt alles, Grund und Boden, Nahrung,
Handelsertrag, Geschicklichkeit, Kühnheit, Freiheitsliebe, Staat und Kultur,
sich selbst und "seiner ihn*"erziehenden Scholle.
Auch dem Gebirgsbewohner wird eine größere Arbeit auferlegt als dem
Bewohner des flachen Binnenlandes. Fast jeder Schritt ist ein Steigen und das
Steigen kräftigt den Körper. Vor allem werden die Beine beeinflußt und davon ist
die Eigentümlichkeit abhängig, daß auf den Knien der Gebirgsbewohner niemals
ein straffes Kleidungsstück ruht: das Knie bleibt nackt oder wird von einem
faltigen Gewand bedeckt. Außer den Waden wird auch der Oberkörper verändert.
Das Atmen in dünner Höhenluft dehnt die Lungen aus und weitet die Brust, was
in den bewohnten Hochländern Asiens und Amerikas besonders auffallend ist
und dadurch noch auffallender wird, daß die Oberarme entsprechend verkürzt
werden, da ja die Klafterweite des Menschen gleich seiner Höhe ist. Aber auch
dem Geiste werden große Aufgaben gestellt ; der Hirt und der Jäger, der Holzfäller
und der Bauer des Gebirgslandes werden zur Betätigung des Mutes und der Aus¬
dauer angeleitet. Jedes Abweichen vom gewohnten Wege kann einen Schritt zum
Grabe bedeuten, deshalb hängen die Bergbewohner am Alten und zeigen in jeder
Beziehung eine konservative Gesinnung. Der übermächtigen Natur gegenüber
ist der Mensch hilflos, deshalb finden wir im Gebirgslande stärker entwickelte
religiöse Neigungen. Einen großen Teil des Jahres ist man auf das Innere des
Hauses beschränkt; daraus erklärt sich nicht nur der Hausbau, der sich bemüht,
möglichst alle Geräte und allen Bedarf unter einem Dache aufzubewahren, sondern
auch der sinnige, poetische Zug der Gebirgsvölker. Da die Natur der Bergländer
ebenso wie die der Polargegenden dem Menschen nur karge Nahrung bietet, so
entwickelt sich in solchen Landstrichen der Hausfleiß und die Hausindustrie.
Außerdem wecken die Gebirgshänge mit ihrem Echo die Freude an der Musik
und die Lust zum Jodeln, während an der Küste wegen des mangelnden Echos
wenig oder gar nicht gesungen wird. Die freie Natur und der Kampf gegen die
Naturkräfte bewirken eine große Heimats- und Freiheitsliebe, und die Schwierig¬
keiten in der Anlage von Wegen, in den Vorrichtungen zum Schutz gegen Lawinen,
Murbrüche und Steinstürze, machen den Menschen wachsam, tatkräftig und er¬
finderisch. All diesen Einflüssen hat es der Gebirgsbewohner zu danken, wenn er
mit seinem gestählten Körper, seinem aufgeweckten Geist, seinem eisernen Fleiß,
seiner zähen Ausdauer, mit seinem überlegenen Können und Wollen häufig genug
die Herrschaft über die umliegenden Tiefländer erkämpft hat.
Während der Bergbewohner fast niemals vollkommen seßhaft wird, sondern
gezwungen ist, lange Zeit zur Arbeit fern von seinem Wohnsitze zu weilen, ging
der Bewohner des Flachlandes sehr bald zum Bau fester Wohnungen über. .
Die Wohnungsanlage hat man teilweise von den Tieren seiner Heimat
gelernt. Man wohnt in Höhlen, die man dem Höhlenbären abgerungen hatte,
in Pfahlbauten, deren Anlage dem Neste der Wasservögel nachgeahmt ist, in Hütten,
die dem Bienenkorb, der Termiten wohnung oder den Sumpf bürgen des Bibers
ähnlich sind. Die Siedlungsanlage der Wenden hat die Form des Kreises, in der
sich auch die Pferde in den osteuropäischen Steppen aufstellen, um sich gegen die
Angriffe des Wolfes zu schützen.
Die Wohnung ist abhängig von dem Klima und von dem Boden. Bei uns,
wo ein rauhes Wetter den Aufenthalt im Freien nicht dauernd gestattet, würde