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Die Beziehungen des Deutschen Reiches zur Weltwirtschaft.
Die Portugiesen und Spanier haben von ihrem Küstenbesitz in Afrika wenig
Gebrauch gemacht und weite Strecken davon wieder aufgegeben. Die Nieder-
länder in Südafrika waren über die Ausnutzung ihres Gebietes zur Viehzucht kaum
hinausgekommen. Da erschienen die Briten, als die Niederlande in Napoleons
Reich eingegliedert waren, in Südafrika und rissen das niederländische Gebiet an
sich. Von hier aus stießen sie weiter nach N vor, um die reichen mineralischen Schätze
der Sambesiländer auszubeuten. Gleichzeitig suchten sie von dem in britische Ober-
aufsicht und Verwaltung genommenen Ägypten bis zum Kaplande vorzudringen.
1830 griffen die Franzosen ein und erwarben zunächst Algerien. Um den Ver-
lust im Kriege von 1870/71 wieder auszugleichen, zogen sie sodann große Gebiete
in Nordwest-, Zentral- und Südafrika an sich. Während unser Vaterland in-
folge der früheren staatlichen Zersplitterung keinen Blick für Weltpolitik gewonnen
und koloniale Unternehmungen sogar meist bespöttelt hatte, drang nun allmählich
in weitsichtigen Männern die Erkenntnis durch, daß unsere Großmachtstellung im
politischen und wirtschaftlichen Leben nur gewahrt werden könne durch Erwerbung
eigener Kolonien, und daß Afrika doch nicht so wertlos sein könne, wie man bisher
angenommen hatte. Obwohl ihren Bestrebungen durch Mangel an Verständnis
im eigenen Lande, noch mehr aber durch die Eifersucht der Engländer viele Hemmnisse
bereitet wurden, errangen wir durch schnelles Zugreifen in letzter Stunde seit 1884
von den noch unverteilt gebliebenen Gebieten Afrikas einen beträchtlichen Teil.
Freilich wird er vom britischen und französischen Afrika an Größe reichlich je um
das Zweifache übertroffen. Er ist dagegen größer als der portugiesisch-afrikanische
Besitz und immerhin fünfmal so umfangreich wie das deutsche Heimatland.
Das Interesse der breiten Volksmasse unseres Vaterlandes an unseren afrika-
nischen Kolonien wurde nun merkwürdigerweise dadurch nicht erweckt, daß unsere
gefährlichsten Wettbewerber im Welthandel, die Engländer, unsere Ansprüche be-
stritten und unsere Besitzergreifung und Erschließung von der Küste aus nach Kräf-
ten hinderten (Walfischbai, Sansibar, Mündung des Woltaflusses, Nigirland britisch).
Die Mehrzahl der Deutschen huldigte lange der Ansicht, daß die anderen Völker auch
hier den Rahm von der Milch bereits abgeschöpft hätten, daß unsere afrikanischen
Kolonien ziemlich wertlos seien. Da trat ein Umschwung in der Volksstimmung ein,
als die Aufstände der Eingeborenen deutsches Blut kosteten und besonders das so
viel bespottete Südwestafrika große Opfer an Menschenleben und Geld forderte.
Dadurch erst wurden unsere afrikanischen Kolonien zu einem wertvollen Volksbesitz-
tum, das zu entwickeln als nationale Pflicht empfunden wird.
So tritt seitdem das wirtschaftliche Interesse an Ägypten, das uns 1911 eben-
soviel (für fast 70 Millionen Mark) Baumwolle wie Britisch-Jndien lieferte, das
uns Mengen von Zigaretten, Gummi arabikum und Wachs sendet und deutsche Web-
und Eisenwaren, Farbstoffe und Porzellan eintauscht, ebenso zurück wie das an
Algerien, das uns einigen Wein, Kork und im Winter Gemüse verkauft. Gegenüber
den rücksichtslos vordrängenden Franzosen suchte der deutsche Kaufmann vergeb-
lich sich an Marokkos reichen Schätzen gebührenden Anteil zu sichern. Dieses Land,
das uns bisher bittere Mandeln, Eier und Wachs, Harze und Felle verkaufte und für
die Hälfte des Wertes Gewebe, Eisenwaren und Waffen bezog, birgt besonders
wertvolle Erzlagerstätten. Das Kapland sendet Schafwolle und Straußenfedern auf
unseren Markt und empfängt von uns Bier, Zucker, Klaviere, Berliner Konfektion,
Zement und Spielzeug. Die deutschen Handelsbeziehungen zu Abessinien sind kaum
erwähnenswert. Die Ausfuhr des Kongostaates geht fast ausschließlich nach Belgien.
§ 96. Wir hoffen aus den deutschen tropischen Besitzungen die wichtigsten Rohstoffe
für die heimische Industrie zu gewinnen und dadurch unabhängig von den
Marktpreisen des Auslandes zu werden. Sind doch die deutsch-afrikanischen Gebiete
zu tropischen Pflanzungskolonien, die mit den Köpfen der Weißen und mit den
Händen der Schwarzen bewirtschaftet werden müssen, meist wohlgeeignet.