140 Die Beziehungen des Deutschen Reiches zur Weltwirtschaft.
englische Ware nicht nur von unseren Märkten verdrängte, sondern in schneller
Zunahme auch andere Länder mit ihrem Warenüberschuß versorgte.
Nach der Zählung vom Juni 1907 waren in der deutschet! Industrie beschäs-
tigt 11,25 Millionen Menschen, in Handel und Verkehr 3,5 Millionen. Durch ihre
Tätigkeit erreichte die Ausfuhr unseres Vaterlandes im Jahre 1911 den Wert von
rund 8800 Millionen Mark, die Einfuhr einen solchen von 10400 Mill. Mark.
Das ergibt eine P assive Handelsbilanz für unser Vaterland, d. h. wir zahlen
mehr an das Ausland, als dieses uns zahlt. Um den Unterschied von rund
1600 Millionen Mark scheinen wir Deutsche danach 1911 ärmer geworden zu
sein. Das ist jedoch nur Schein. Alle Industrieländer haben eine Passive, die
meisten Landwirtschaft und Viehzucht treibenden Länder eine aktive Handelsbilanz,
da sie in höherem Betrage Handelsgüter (Nähr- und Rohstoffe) ausführen als
einführen. Die Industriestaaten machen nun aber die Differenz zwischen Aus-
fuhr- und Einfuhrbetrag dadurch wieder wett, daß sie vom Arbeitsverdienst zins-
tragende Papiere der Ackerbaustaaten kaufen, die selbst für die Befriedigung ihrer
Staatsbedürfnisse nicht genügende Kapitalien haben und zu dem Zwecke Anleihen
aufnehmen müssen. So wird der scheinbare Verlust, den die passive Handels-
bilanz andeutet, durch die Zinszahlung des Auslandes ausgeglichen und oft mehr
als das. In Wirklichkeit nimmt denn auch der Wohlstand des deutschen Volkes
und damit seine Fähigkeit, in den Welthandel erfolgreich einzugreifeu, von Jahr
zu Jahr erfreulich zu. 1910 betrug z. B. das Gesamtguthaben der Einleger in
deutsche Sparkassen allein ruud 17 Milliarden Mark.
Eingeführt werden am meisten Nahrungsmittel und Rohstoffe: Getreide
(Weizen, Gerste, Reis, Mais, Roggen und Hafer), 1911 für rund 1260 Mill.
Mark. Dann folgt Baumwolle (für mehr als 600 Millionen Mark), Schaf-
wolle (375), Kaffee (250), Gold, roh und gemünzt (245), Kupfer (230),
Rindshäute (200), Eisenerze (180), Tabak (120), Rohseide (135) usw.
In der Aussuhr herrschen die Fabrikate fast ausschließlich. Da unser
Vaterland im Maschinenbau eine führende Stellung einnimmt, so stellen die Ma-
schinen den wichtigsten Posten der Ausfuhr (1911 rund 550 Millionen Mark).
Ihnen folgen Baumwollwaren (rund 400), Steinkohlen (370), Woll-
waren (265), Zucker (210), Sei den waren (190), Leder und Pelztierfelle,
Farbstoffe und Roggen (je über 100 Millionen Mark), dann eine ungezählte
Menge anderer Jndnstrieerzeuguisse. Mehr als irgendein anderes Land liefert
das Deutsche Reich Bücher, Karten, Musikalien, gedruckte Bilder und Kinderspiel-
zeug (90) in den Welthandel. Erfreulich schreitet die gewaltig herangewachsene
Kleiderkonfektion Berlius voran. Sie verdrängt in vielen Ländern die gleichen
englischen, in Japan sogar die französischen Waren.
§ 103. Alles in allem hat unser Vaterland seine Konkurrenten im Welthandel
meist überflügelt. Frankreich (11,5 Milliarden Mark) erreichte 1911 etwa
drei Fünftel der Summe unseres Ausfuhr- und Einfuhrhandels (19 Milli-
arden Mark), Rußland, Österreich-Ungarn und Jta lien etwa ein Viertel,
Argentinien ein Sechstel, die Schweiz ein Siebentel.
Unsere Hauptkonkurrenten sind die Union und Großbritannien. 1911
haben wir die Union trotz ihres riesigen und reichen Länderbesitzes uud ihrer
Lage an den zwei wichtigsten Verkehrsmeeren um 4 Milliarden Mark in der
gesamten Handelsbewegung, Einfuhr uud Ausfuhr zusammengerechnet, ge-
schlagen, und zwar entstand dieses Übergewicht ausschließlich infolge der größeren
Einfuhr unseres Vaterlandes (§ 75). Großbritannien dagegen ist uns