Object: Westfälischer Kinderfreund

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Predigern aber kam es von vorne herein nur auf diese Gaben an. Mit ganz 
besonderer Roheit trieb der Dominikanermönch Johann Tetzel sein Wesen, 
der von dem Erzbischof Albrecht von Mainz und Magdeburg mit der Ab¬ 
laßpredigt im Kurfürstentum Sachsen beauftragt war. Mit seinen Genossen 
durchzog er das Land. Nicht zufrieden damit, den Ablaß von der Kanzel 
herab zu verkündigen, bot er ihn sogar aus Straßen und Märkten wie eine 
gemeine Ware öffentlich zum Verkaufe aus. Wenn da in der päpstlichen 
Verordnung noch bemerkt war, es müsse einer, dem der Ablaß zu gute 
kommen solle, ein reuiges Herz und einen betenden Mund haben, so hörte das 
arme Volk von dem Manne Tetzel, daß jede Sünde mit Geld wieder gut zu 
machen sei; auch für die Sünden der Verstorbenen, ja sogar für künftige 
Sünden konnten Ablaßzettel gelöset werden. So wurde denn durch diesen 
Ablaßkram die wahre christliche Buße aufs höchste gefährdet, zum Ärgernis 
aller frommen Seelen. Als nun auch in Luthers Beichtstuhl Leute kamen, die 
sich zu Jüterbock unweit Wittenberg Tetzels Ablaßzettel gekauft hatten und 
trotziglich behaupteten, sie hätten damit schon Vergebung der Sünden und 
brauchten keine Reue und Buße, so ergrimmte er im Geiste und predigte nicht 
allein, daß der Papst, wenn er es wüßte, St. Peters Münster lieber zu 
Pulver verbrannt, als auf solche Weise aufgebaut wissen wollte, sondern er 
schlug auch am 31. Oktober 1517, als am Vorabende vor Allerheiligen, 
an der Schloßkirche zu Wittenberg 95 Sätze gegen diesen Ablaßhandel an, 
die er sich gegen jedermann zu verteidigen erbot. Es fand sich aber nie¬ 
mand, sondern Luthers Sätze flogen, als wären die Engel Botenmeister ge¬ 
wesen, durch die ganze Christenheit, so daß sein Name nun in aller Welt 
Munde war. So mußte er denn, ein armer Mönch, es gar bald allein auf¬ 
nehmen mit den mächtigsten Feinden rings umher. Aber er hatte doch noch 
einen viel mächtigeren Mitstreiter; das war der allmächtige Gott, und auf 
den hat er vertraut, wie sonst wohl keiner. Und dieser Gott war auch dar¬ 
auf bedacht, ihm unter den Menschen manchen treuen Gehülfen zuzuführen, 
unter welchen vor allen zu nennen ist Philipp Melanchthon. Der war 
nn Jahre 1497 zu Breiten in der Pfalz geboren, hatte einen gar frommen 
Vater gehabt und war selbst so fromm und dabei so gelehrt, daß, als er in seinem 
einundzwanzigsten Jahre nach Wittenberg kam, Luther von ihm sagte: „Ob 
er wohl dem Ansehen nach ist wie ein Knabe, so sage ick es doch frei heraus: 
er versteht mehr, als ich, werde auch nichts auf ihn kommen lassen, so lange 
ich lebe!" Melanchthon hat aber Luther nicht allein mit seiner Gelehrsamkeit 
treulich beigestanden und viel genützt, sondern noch viel mehr durch seine Be¬ 
sonnenheit und Sanftmut, durch welche er die natürliche Hitze Luthers mäßigte 
und in Schranken hielt. Mit tiefem Schmerze gedachte zwar der milde 
„Lehrer Deutschlands" der großen und schweren Folgen, welche eine 
Spaltung der Kirche mit sich führen mußte, und riet zur Versöhnung, so 
lange eine Versöhnung noch möglich war. Als er aber unter Gebet und 
vielen Thränen des göttlichen Willens gewiß geworden war und Gottes Ord¬ 
nung erkannt hatte, legte er freudig mit Hand ans Werk. 
Da indessen Luther immer weiter ging und auch sein Widerspruch gegen 
den Papst immer lauter wurde, alle Versuche aber, ihn zum Schweigen oder 
Widerruf zu bringen, vergeblich waren, so wurde er endlich in den Bann ge-
	        
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