Object: Von 102 vor Chr. bis 1500 nach Chr. (Th. 1)

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Die Gudrunstrophe unterscheidet sich von der des Nibelungenliedes durch 
den klingenden (weiblichen) Reim der dritten und vierten Langzeile und dadurch, 
daß die zweite Hälfte der letzten Zeile fünf Hebungen hat.") 
XIV. Dir bedeutendsten höfischen Dichter. 
Lyrische Voeste. Wie bei den Provenzalen und Nordfranzosen bildete die 
Liebe (Minne) vorzugsweise den Stoff der lyrischen Gedichte, wie sie überhaupt 
der eigentliche Mittelpunkt aller poetischen Bestrebungen war, weshalb die sämmt¬ 
lichen höfischen Dichter Minnesinger genannt, und selbst diejenigen darunter be¬ 
griffen werden, die keine lyrischen Gedichte oder überhaupt keine Dichtungen ver¬ 
faßt haben, die von der Minne handeln. In den der Minne gewidmeten Liedern, 
welche oft von großer Zartheit, oft derb sinnlich sind, durfte der Name der ge¬ 
priesenen Dame nicht genannt werden. Nächst und mit der Minne wurde auch 
die Natur, insbesondere der Frühling und der Mai häufig besungen. 
Eine große Anzahl von lyrischen Gedichten ist religiöfen Inhalts, von 
denen die frühern noch volkstümliche Auffassung darbieten. Die spätern, mit 
mehr kunstmäßiger Form, besingen vorzugsweise die heilige Jungfrau und die 
Dreieinigkeit, verlieren sich aber bald in das Allegorische und Ileberschwängliche. 
Es haben sich mehrere geistliche Lieder aus dem Anfang des Zeitraums erhalten, 
einige sogar aus dem 11. Jahrhundert. 
Die äußern und allgemeinern Lebens Verhältnisse fanden bet dem Mangel an 
Objeetivität wenig Beachtung. Zwar begegnen wir vielen Gedichten, welche an die 
Fürsten und Großen der Zeit gerichtet sind, doch beschäftigen sich die meisten der¬ 
selben nur mit den persönlichen Beziehungen, in welchen die Dichter zu den Fürsten 
und Herren standen, und sie erscheinen als Lob- und Strafgedichte, je nachdem 
die Milde und Freigebigkeit und ihr der Kunst erzeigter Schutz gepriesen oder ihre 
Kargheit und Verachtung der Dichter und der Dichtkunst getadelt wird. Edler 
sind die Klaggesänge um Verstorbene. 
Nur wenige Dichter haben die politischen Verhältnisse der Zeit poetisch be¬ 
handelt, so sehr dieselbe dazu anzuregen schien. Man findet keine Schlacht- und 
Kriegslieder; die Kämpfe der Kaiser mit der Kirche wurden nur von wenigen 
Sängern beachtet. Später, als das Reich in Verwirrung gerieth, erhoben zwar 
manche Dichter ihre Stimme, um dieselbe zu beklagen, die Entartung der Geistlich¬ 
keit und des Adels zu tadeln, aber ihre Dichtungen bewegen sich nur in Allgemein¬ 
heiten. Zudem hörten diese Klagen bald auf, und_ an ihre Stelle traten die nied¬ 
rigsten Schmeicheleien auf geistliche und weltliche Herren. 
In den Tagen der Zerrüttung wandten sich die beffern Gemüther von dem 
tändelnden Spiele des Minneliedes und von der unfruchtbaren Liebesklage ab, um 
sich der Betrachtung des Lebens zuzuwenden. So entstanden die Sprüche und 
gnomischen Gedichte, welche zwar ihrem Inhalte nach zur didaktischen Poesie 
gehören, aber wegen ihrer ganz lyrischen Form hierher gerechnet werden müssen. 
In diesen Sprüchen, welche bald rein betrachtend, bald belehrend und bald strafend 
sind, findet sich oft die kernhafteste Lebensweisheit ausgesprochen, die häufig durch 
Beispiele und Fabeln anschaulich gemacht wird. Oft geht die Darstellung ganz in 
die Allegorie über. Die Lob- und Strafgedichte, so wie die politischen Dichtungen, 
haben meist die Form von Sprüchen. Der Spruch erscheint schon früh, doch nimmt 
er je länger je mehr an Umfang zu, so daß sich die Lyrik beinahe ganz in dem-- 
selben auflöste. 
*) Kluge, Geschichte der deutsche» Ncitional-Literatur. S. 37 ff.
	        
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