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Tee, bei besonderen Anlässen auch Geflügel oder ein Schwein als Opfer darbringt. „Einmal
besuchte ich", schreibt Sven Hedin, „in Nordchina einen Tempel, worin ein ganzer Saal
mit freistehenden, bemalten Tonbildern angefüllt war, die darstellten, welche Qualen den
Sünder im Totenreich erwarten. Hier wurde die Ehebrecherin in der Mitte durchgesägt,
dem Dieb wurden beide Hände abgehauen, dem Verleumder die Zunge aus dem Hals ge-
rissen und einem andern Sünder glühendes Eisen in die Augen gebohrt, während sein
Nachbar mit verzerrten Zügen seine eignen Eingeweide betrachtete, die ihm die Handlanger
des Totenreiches aus der aufgeschlitzten Bauchhöhle herausgerissen hatten. Die Bilder waren
in Lebensgröße und mehr als gräßlich. In einer Ecke des Saales standen mehrere große
Särge. Der Deckel des einen war nicht fest aufgelegt, und man sah darin einen Toten
die Zähne fletschen. Auf meine Frage, warum die Särge hier ständen, erhielt ich die
Antwort: Die Zeit der Qual im Fegefeuer wird für den Verstorbenen um so kürzer, je
länger er in diesem Tempelsaal des Totenreiches stehen darf". — Seit langem schon sind
auch christliche Missionen mit Erfolg in China tätig; etwa 1130000 Chinesen sind jetzt
katholische, 150000 evangelische Christen. Auch der Islam hat viele Anhänger.
China besitzt eine uralte Kultur. Der fruchtbare Boden und das günstige Klima,
die dem Ackerbau die günstigsten Bedingungen bieten, haben ihre Entwicklung gefördert.
Lange vor den Europäern haben die Chinesen die Herstellung des Papieres, den Buchdruck,
den Kompaß und das Schießpulver, das sie allerdings nur zu Feuerwerk benutzten, gekannt;
sie haben das Glas und das Porzellan erfunden, zuerst Seidenzucht und Seidenweberei
getrieben und in Handwerk und Industrie große Geschicklichkeit erlangt. Aber Jahrtausende
lang hat sich das chinesische Volk von jedem Verkehr mit andern Völkern abgeschlossen.
Das hatte zur Folge, daß die Kultur allmählich in Erstarrung geriet, weil ihr die An-
regung und Befruchtung von außen fehlte. „Alles ist durch herkömmliche Gesetze und Ge-
wohnheiten geordnet und geregelt; Freiheit und Selbstbestimmung, die Quelle aller echten
Kultur, sind unbekannt". Mit Gewalt haben europäische Staaten die Öffnung chinesischer
Häsen erzwungen. Gegen alle Errungenschaften der w. Kultur aber verhielten sich die
Chinesen streng ablehnend. Weder von Maschinen, noch Eisenbahnen, noch Telegraphen
wollten sie etwas wissen, und was schließlich angenommen wurde, geschah unter dem
Widerstande eines großen Teils des Volkes. In neuster Zeit aber ist ein überraschend
schneller Umschwung eingetreten. Die Niederlage, die das volkreiche China 1894 im Kriege
mit dem fortgeschrittenen Japan erlitt, die leichten Siege, die die abendländischen Mächte nach
der Niedermetzelung von Europäern erfochten, hat die Geister ausgerüttelt, und man ist
jetzt in ein Hasten hineingekommen, allcs nach europäischem Muster umzugestalten: das
Heerwesen, die Marine, die Industrie, der Verkehr, das Unterrichtswesen. Man baut
Bahnen, Dampfschiffe, Telegraphen, Elektrizitätswerke usw., der Zopf fängt an zu ver-
schwinden, man ändert die Kleidung, die Lebensweise usw. Und damit nicht genug, auch
an das alte verknöcherte Staatswesen legt man die Hand, und der Ausstand von 1911 hat
auch hier zu einer völligen Umwälzung geführt.
Der Staat. Das Chinesische Reich umfaßt außer dem eigentlichen China,
dem „Reich der Mitte", noch vier große Vasallenländer: die Mandschurei
(S. 156), Tibet (S. 149), die Mongolei (S. 154), die sich aber 1912 für unab-
hängig erklärt hat (S. 155), und Ostturkestan, ein Gebiet von der 29 fachen
Größe des Deutschen Reiches (11,1 Mill. qkm) mit 330 Mill. E. Bis zum
Jahre 1912 war der Kaiser, der „Sohn des Himmels", unumschränkter Herrscher.
Ein großes Heer von Beamten, von den Europäern Mandarinen genannt,