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daß der Schnee auf den Hochalpen (überhaupt auf allen Hochgebirgen)
nicht zu Bergen anwächst, sie hat jenen Schneemassen Abflüsse gegeben.
Der Schnee, der in den Regionen eines andauernden, ununter-
brochenen Winters fällt, ist in der Form vom gewöhnlichen groß-
flockigen Winterschnee der Ebene sehr verschieden. Er ist ein feiner,
krystallinischer, nadelartiger Staub von ungemein blendender Weiße
(Schneebrillen!), pulverig trocken und darum sehr beweglich. Er deckt
alle nicht zu steilen Grate und Hörner (nur in verhältnismäßig ge-
ringer Stärke), bleibt aber seiner staubartigen Eigentümlichkeit wegen
nicht leicht an Wänden von starkem Abfall hängen; denn ein Spiel
der Lüfte wird er von jedem Windstoße aufgewirbelt und fortgetrieben.
Weiter abwärts schmilzt dann die oberflächliche Schneeschicht unter den
warmen Strahlen der Sommersonne und unter der Einwirkung warmer
Winde; das Wasser dringt in die tieferen Lagen ein, wo es niedere
Temperaturen vorfindet und deshalb wieder gefriert. Infolgedessen
nimmt der Schnee an Stelle seiner früheren feinen, eckigen Struktur
nach und nach eine mehr rundliche Körnerform an, so daß er dadurch
fast wie zusammengebackener grober Sand aussieht. Diesen körnigen
Schnee heißen die Alpenbewohner Firn'). Die von ihm überlagerten
Flächen heißen Firnfelder oder Firnmeere.
Indem sich nun Firnlage auf Firnlage häuft, pressen die oberen
die unteren zusammen und verwandeln die letzteren in eine zusammen-
hängende feste Masse. Diese wird durch den Druck der über ihr liegen-
den Firnschichten vorwärts gepreßt und beginnt demnach auf den Berg-
abhängen (in den Thälern!) abwärts zu fließen. So gelangt sie in
tieserliegende wärmere Gegenden, in denen nicht mehr bloß Schnee,
sondern auch schon Regen fällt. Diesen letzteren schluckt sie auf, bindet
ihn durch die innewohnende Kälte zu Krystallen und verdichtet sich
endlich zu porösem Eis. Das ist das Gletschereis. Es unterscheidet
sich in seinem Aussehen von jedem anderen Eise (Flußeis, Eiszapfen)
und bildet eine kompakte Masse, welche von zahlreichen Sprüngen
durchzogen ist, so daß sie nicht mehr die Durchsichtigkeit des gewöhn-
lichen Eises besitzt. Daher sieht das Gletschereis meist wie aus un-
zähligen Eisstücken zusammengebacken aus. Es füllt nun nicht etwa
ein Thal bis zu einer gewissen Höhe gleichmäßig an, sondern schiebt
sich zungensörmig in dasselbe hinein und erscheint darin wie ein flach-
gewölbter Damm. Dieser bläulich glänzende Eisstrom, in dem der
Hochschnee und der Firn ihren natürlichen Abfluß finden, heißt Gletscher.
Ein Gletscher ist demnach eine bis tief unter die Schnee-
grenze in Thäler hinabgedrängte Firnmasse.
Von den Höhen, denen die Gletscher entstammen, schieben sie sich
langsam, unmerklich, aber stetig thalab, oft bis in bewohnbare Gegen-
den, bisweilen sogar in das Gebiet des Feldbaues; sie ziehen sich also
in Regionen, wo sie schmelzen. Auf dem unteren Ende eines Gletschers
rieseln daher unzählige kleine Wasseradern, welche zu einem Bache,
dem Gletscherbache, vereinigt, in der Regel durch ein hohes, gewölbtes
') fern, im Mhd. fime, bedeutet soviel als alt, vorjährig; der Firn ist also
alter, vorjähriger Schnee.