Full text: Das Deutsche Reich (Teil 4)

Deutschland als Staatengebilde. 89 
läge Deutschlands wird in dem Maße an Bedeutung noch gewinnen, als der Aus- 
bau der Bahnen nach O. und S. fortschreitet. Schon jetzt zieht ein Schienenstrang 
von Westeuropa durch Deutschland nach Sibirien und den Gestaden des Pazifik; 
der hierdurch ermöglichte Landverkehr steht aber erst im Anfang seiner Entwicklung. 
Nach Vollendung der Bagdadbahn führt auch nach dem Indischen Ozean der kür- 
zeste Landweg von Westeuropa über Deutschland und die Fortsetzung der trans- 
kaspischen Bahn stellt die direkte Verbindung mit dem Reiche des gelben Mannes 
her. Somit bietet Deutschlands Lage für die Vermittlung des Verkehrs nach den 
zukunftsreichen Ländern des fernen Ostens recht günstige Aussichten. Auch als 
Durchgangsland zwischen Nordeuropa und Afrika wächst die Bedeutung Deutsch- 
lands mit der Fortführung der Kap-Kairo-Bahn. 
Die Stellung, welche Deutschland als Durchgangs- und Verbindungsland zu- 
kommt, bleibt ihm vermöge seiner Lage wohl dauernd gesichert; dagegen wird Eng- 
lands Außenhandel um so mehr bedroht, als die einzelnen Staaten direkte Handels- 
beziehungen anknüpfen und namentlich die aufstrebenden ostasiatischen Länder und 
Amerika über den Pazifik hin in immer regeren Verkehr treten. 
In klimatischer Beziehung hat Deutschland wie England Anteil an den Seg- 
nungen des Golfstroms; seine Häfen an der Nordfeeküste sind, wie die englischen, 
das ganze Jahr über den Seeschiffen zugänglich. 
Die Weltwirtschaft Deutschlands beruht auf einem geschlossenen Reiche von 
540 000 qkm, d. i. der 7 fachen Größe Bayerns, das Britische Reich mit seinem 
Kolonialbesitz ist über die ganze Erde verbreitet und bietet dadurch zahlreiche An- 
grissspunkte. Das Mutterland mit seinen 312 000 qkm stellt zudem nur eine 
verschwindende Größe dar gegenüber dem riesigen Kolonialgebiet mit fast 30 Mil- 
lionen qkm. 
Der englische Handel dankt seine Entwicklung nicht zum geringsten Teil 
seinen Beziehungen zu den Kolonien. Störungen hierin würden ihm sehr erheb- 
liche Einbuße bringen. Wesentlich unabhängiger hat sich der deutsche Handel ent- 
faltet. Zwar erreicht Deutschlands Handel mit seinen Kolonien bereits die immerhin 
beachtenswerte Summe von rund 400 Mill. Mark; aber im Gesamthandel Deutsch- 
lands mit fast 20 Milliarden Mark ist dies doch nur ein sehr bescheidener Bruchteil. 
Der Handel Deutschlands wird daher weit weniger von seinen Kolonien beeinflußt 
als der Englands. 
Deutschlands Kohlen- und Erzschätze liegen allerdings nicht so günstig beisammen 
wie in England; auch hat deren Förderung wesentlich später eingesetzt. Anderseits 
haben Bergbau und Montanindustrie in Deutschland in den letzten Jahrzehnten 
ganz außerordentliche Fortschritte gemacht und werden dessen Bodenschätze, da sie 
erst spät in Angriff genommen wurden, länger standhalten. Letzteres gilt ganz 
besonders von den wichtigsten Mineralien, Kohle und Eisen. Der deutsche Kohlen- 
Vorrat wird auf 158 Milliarden Tonnen geschätzt und wird mutmaßlich 600—1000 
Jahre hinreichen. Im Gegensatz hierzu beträgt der englische Kohlenvorrat etwa 
100 Milliarden Tonnen und wird in rund 200—300 Jahren erschöpft. In 
der Roheisenerzeugung hat Deutschland England sogar schon beträchtlich überflügelt. 
Heute entscheidet eben nicht ausschließlich mehr das natürliche Vorkommen der 
Rohstoffe, sondern vorzugsweise auch der nach der Frachtlage zur Verfügung stehende 
Geistbeck-Opitz, Erdk. f. d. bayer. Lehrer» u. Lehrerinnenbild.'Anst. IV. T. r* 7 _ . . .. _ 
Georg-Eckert-Instftül 
für internationale 
Schulbuchforschunfl
	        
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