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viertes Kapitel.
Ausbau der staatlichen Arbeiterfürsorge so zu fördern, daß die hilfsbedürf¬
tigen in den Tagen der Not einen Rechtsanspruch auf gesetzlich geregelte Be¬
züge besitzen. Die Arbeiter haben damit, dank den umfassenden Leistungen
des Reichs und ihrer Arbeitgeber sowie auf Grund ihrer eignen Beiträge, eine
erhöhte Licherheit für den notwendigen Lebensunterhalt und für den Be¬
stand ihrer Familien erreicht. Die großen und werbenden Gedanken der kaiser¬
lichen Botschaft haben diesen Erfolg aber nicht nur in unserm eignen vaterlande
gezeigt, sondern wirken auch weit über dessen Grenzen hinaus vorbild¬
lich und bahnbrechend.
Leider wird die Erreichung des höchsten Zieles der kaiserlichen Botschaft ge¬
hemmt und verzögert durch den andauernden Widerstand gerade von der
Leite, welche glaubt, die Vertretung der Arbeiterinteressen vorzugsweise für sich
in Anspruch nehmen zu können. Gleichwohl vertraue ich auf den endlichen
Lieg gerechter Erkenntnis des Geleisteten und auf ein wachsendes Verständ¬
nis für die Grenzen des wirtschaftlich Möglichen in allen Kreisen des deutschen
Volkes. Dann wird sich auch die Hoffnung Kaiser Wilhelms erfüllen, daß sich
die Arbeiterversicherung als eine dauernde Bürgschaft des innern Friedens
für das Vaterland erweisen möge.
In dieser Zuversicht ist es mein fester Wille, daß die Gesetzgebung auf
dem Gebiete der sozialpolitischen Fürsorge nicht ruhe und in Erfüllung der
vornehmsten Christenpflicht auf den Lchutz und das Wohl der Schwachen und
Bedürftigen fortgesetzt bedacht sei. Durch gesetzliche Vorschriften und Leistungen
allein ist indes die Aufgabe nicht zu lösen. Ich erkenne am heutigen Tage
gern an, daß im deutschen Volke es nie an Männern und Frauen gefehlt hat,
die freiwillig und freudig ihre Kraft in den Liebesdienst zum Wohle des
Nächsten stellten, und sage allen, die sich dem großen sozialen Werke unserer
Zeit selbstlos und opferwillig widmen, meinen kaiserlichen Dank."
viertes Capitel.
Deutsches Fürstentum und Kaisertum. Die
Begründung des neuen Reiches.
1. Wer sich in die Tage Ottos des Großen (er gab die Herzog¬
tümer in die Hand seiner verwandten,' er stützte sich auf die Kirche,
aus die Bischöfe, die ihre Gewalt nicht vererbten) und wieder Konrad
des Zweiten oder Heinrich des Dritten (sie suchten die Herzogtümer
mit der Monarchie zu vereinigen) zurückversetzt und sich die Verhält¬
nisse klar macht, unter denen damals die europäischen Volker und
Fürsten lebten, muß urteilen: kein andres Volk hatte damals die
Wahrscheinlichkeit für sich, zu einer geschlossenen nationalen Einheit
sich zu erheben, so wie gerade unser deutsches Volk. Und doch kam's
ganz anders. Die andern Volker schlossen sich zusammen, wir zer¬
splitterten uns. Denn es lag etwas in unserm Volkscharakter, jwas
einer dauernden Vereinigung widerstrebte: in dem Gefühle münn-