Contents: Lesebuch für die Mittel- und Oberstufe (Teil 2, [Schülerband])

Der Französische Krieg 1870 u. 1871. 
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zog, erscholl plötzlich von Wörth herauf ein ünbeschreibliches Getöse. Es 
mußte wieder etwas Neues, Außerordentliches im Anzuge sein. Die Soldaten 
sprangen, wie von elektrischem Feuer entzündet, zu allen Häusern und Höfen 
hinaus, stellten sich in Reih und Glied und bildeten auf beiden Seiten 
der Straße eine undurchdringliche Mauer. Ich stand auf der Haustreppe. 
„Was ist denn?“ — „Der Kronprinz kommt!“ — Ich kann nicht sagen, 
wie diese Nachricht meine Seele durchzuckte. Ich rief meinen Leuten: 
„Schnell heraus, der Kronprinz von Preußen kommt!“ Und das Getöse 
drang immer näher, und das Jubelgeschrei ward immer größer. Jetzt 
sind sie im Unterdorfe! horch, wie sie jubeln! — gebt acht! jetzt biegen sie 
um die brennende Kirche. Die Trommeln wirbeln, die Siegeslieder brausen 
— eine ungeheure Begeisterung flammt durch die Reihen — alle Häupter 
sind entblößt; die Mützen fliegen hoch empor, und aus aller Munde tönt 
ein tausendfaches, donnerndes Hurra! hoch! hurra! Wir stehen da wie ver— 
zaubert. Wahrhaftig, da zieht er, umgeben und gefolgt von seinen Generalen, 
an unsern Blicken vorüber. Wie sein Angesicht vor Freude strahlt, und wie 
er so wohlwollend die jubelnden Scharen begrüßt! Kein Wunder. Sie 
haben ihr Blut vergossen, und ihr Hurrarufen läutet den geschlagenen Cäsar 
zum Grabe. Welch großartiges, majestätisches Schauspiel! — Der Sieges— 
zug bewegt sich vorwärts in der Richtung nach Reichshofen. Im Oberdorfe 
aber schwenkt der hohe Feldherr rechts ab, da liegt in einer Stube der 
tapfere General Raoul, blutend aus vielen Wunden, mit zerbrochenem 
Schwert und brechendem Herzen. Der deutsche Sieger tritt in die Bauern— 
hütte ein, schaut freundlich in die fieberglühenden Augen, drückt teilnahmsvoll 
die todesmatte Hand — ein Wort huldvoller Anerkennung, eine Thräne 
hochherzigen Mitleids — und noch einmal, unter endlosem Freudengeschrei, 
wogt der Triumphzug vorüber.“ 
130. Krankenpflege. 
L UNoch ehe die Krieger auszogen, regten sich überall im ganzen 
Lande die Hände in den Palästen und in den Hütten der Armen, um die 
Wunden zu lindern und zu heilen, welche jeder Krieg schlägt. Frauen und 
Kinder strickten Strümpfe, zupften Charpie, nähten Binden und warme 
Kleidungsstücke. Jünglinge und Männer, die nicht fähig waren, Waffen 
zu tragen, zogen als Krankenpfleger in das Feld oder halfen daheim, daß die 
Verwundeten gepflegt, die Witwen und Waisen unterstützt würden, und die 
Frauen und Kinder, deren Ernährer mit ausgezogen waren, nicht Not und 
Mangel litten. Viele Tausende von Thalern wurden dafür zusammen— 
gesteuert und ganze Eisenbahnzüge mit Gaben der Liebe gefüllt, welche den 
Brüdern in Feindesland zugeführt wurden. So zeigte sich, wie die Herzen
	        
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