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Vorbotin der künftigen Ernte. Örvandil, wörtlich: der mit dem
Pfeil Arbeitende, Anstrebende, ist der Fruchtkeim, der, wenn
einmal die Saat grünt, bald auch hervorstechen und aufschießen
wird. Ihn hat Thor von Norden her aus J ö tun heim, der
Riesenwelt, über Elivugar, die Eisströme, im Korbe getragen,
er hat das keimende Pflanzenleben den eisigen Winter über be¬
wahrt; aber der kecke Örvandil hat eine Zehe hervorgestreckt und
erfroren, der Keim hat sich allzu frühe herausgewagt und muß
es büßen. Daß Örvandils erfrorene Zehe an den gestirnten
Himmel versetzt wird, dazu hat irgend ein Sternbild von ent¬
sprechender Form den Anlaß gegeben.
Nicht zufrieden, den harten Boden dem Anbau bereitet zu
haben, schirmt Thor auch die in der Wintererde verwaiste Aus¬
saat. Es ist ein ansprechendes Bild, wie der getreue Thor, auf
seinen Götterschultern den fürwitzigen Örvandil tragend, durch
die eisigen Urströme watet, welche die Heimath alles winternächt¬
lichen Grauens sind.
3) Eine der vielen Benennungen des Goldes in der Skal¬
densprache war: Sifs Haar. Der Grund derselben wird so
angegeben.
Loki, Laufeys Sohn, hatte trügerischer Weise Sifs Haar-
alles abgeschoren. Als Thor, ihr Gatte, dessen gewahr wird,
ergreift er Loki und würde ihm alle Knochen zerschlagen haben,
wenn er nicht geschworen hätte, von den Schwarzulfen zu er¬
langen, daß sie aus Golde der Sif ein Haar machen, das wie
natürliches wachse. Hierauf begibt sich Loki zu den Zwergen,
die Jvaldis Söhne heißen, und diese machen das Frauenhaar.
Loki bringt es dem Thor, und dasselbe wächst fest, sobald es auf
Sifs Haupt kommt.
Dieser Mythus ist der einzige, in welchem Thors Gattin
bestimmter in das Bild tritt. Er läßt aber auch über ihr We¬
sen kaum einen Zweifel übrig. Sif, die schönhaarige Göttin,
ist das Getreidefeld, dessen goldener Schmuck im Spätsommer
abgeschnitten, dann aber von unsichtbar wirkenden Erdgeistern
wieder neu gewoben wird. Damit stimmen auch die anderwär-
tigen Erwähnungen dieser Göttin überein.
Das Wurzelwort Sif, sonst noch in mehrfachen Ableitun¬
gen und Zusammensetzungen vorhanden, bedeutet Sippe, Ver¬
wandtschaft; wohl geeignet für die größte aller Sippschaften,