I. D. Lüttringhaus, Kronprinz Friedrich Wilhelm und die Süddeutschen. 97
schätzenswerter Handwerkerstand; also reich und arm, hoch und niedrig,
vornehm und gering, Körperkraft und geistige Bildung waren in den
deutschen Heeren vertreten. „Mutig gingen sie hinaus alle auf die
Felder des Todes, gehoben durch die Begeisterung fürs Vaterland, er¬
füllt von dem Geiste der Treue, aneinander geschlossen durch die Macht
des Gehorsams, gebunden durch den Eid der Fahne; sie zogen hinaus,
geführt von Königssöhnen, mit ihren Leibern einen Wall zu bilden
gegen das Vaterland, um ihre Lieben."
Es wirbelten die Trommeln, es riefen die Hörner; so zogen sie
hinaus:
Auf Wegen und auf Stegen wimmelt's von Roß und Manu,
auf allen Eisenbahnen da fährt es eisern an.
Geschmückt sind all die Wagen mit frischem, duft'gem Grün;
die Augen leuchten heller, und alle Herzen glüh'n.
38. Kronprinz Friedrich Wilhelm und die Süddeutschen.
Nach I. D. Lüttringhaus, Borussia.
Als König Wilhelm I. am 15. Juli 1870 an den Heerschild schlug,
da ging ein Zittern durch das Land, eine heilige Glut loderte in den
Herzen auf vom Fürstenthrone bis zur Strohhütte.
Wie hatte sich der französische Kaiser verrechnet, als er seine Hoff¬
nungen auf die uralten Fehler, die Zwietracht, Zerrissenheit und Ehr¬
sucht der deutschen Stämme, auf Vertragsbruch und Aufruhr geballt
hatte! Er gedachte es böse zu machen, Gott aber wollte es gutmachen:
die welsche Tücke sollte die deutsche Treue wachrufen, der Übermut des
Erbfeindes mit einem Schlage die Wunden heilen, die noch vor
wenigen Jahren ein verderblicher Bruderkrieg dem deutschen Volke ge¬
schlagen hatte.
Freilich befand sich in den Heeren der Süddeutschen wohl mancher,
der noch mit Groll im Herzen an die Niederlagen des Jahres 1866
dachte. Es galt darum, der dritten Armee, die sich aus preußischen,
bayrischen, württembergischen und badischen Truppen zusammensetzte,
einen Führer zu geben, der auch der Süddeutschen Vertrauen und
Zuneigung gewinnen konnte. Dazu eignete sich, wie der Erfolg gelehrt
hat, niemand besser als der preußische Kronprinz. Seine offene, biedere
Herzlichkeit und seine Liebenswürdigkeit versöhnte die süddeutschen Brüder,
deren Herzen ihm überall, wo er erschien, warm und treu entgegen-
schlugen. In München war ihm ein begeisterter Empfang zuteil ge-
lvorden, und in Speyer, wo zunächst sein Hauptquartier war, hatte er
in kurzer Zeit die Liebe aller erworben. Täglich sonnte man ihn im
Rheine baden sehen, und aufs ungezwungenste verkehrte er mit der
Meyer u. Nagel, Deutsches Lesebuch. AuSg. ii. Teil III. 7