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gefaßt darauf, daß der Vogel nicht lange dauern wird. Ein Mensch
aber, der bei sich selbst und bei seinem Vieh nicht auf Reinlichkeit
und Ordnung sieht, ist der wohl werth, daß man ihm junge Sänger
anvertraue? Ich glaube, wenn man alle jungen und alten Vögel,
welche jährlich durch den Unverstand und die Sorglosigkeit der Per¬
sonen, die sich ihrer Wartung unterzogen haben, umkommen, frei
ließe, man könnte ganze Wälder und Felder damrt bevölkern. Bos¬
heit ist es von den wenigsten Menschen, daß ihre Vögelchen nicht
aufkommen oder nicht ausdauern, sondern Unverstand. Sie wissen
nicht, wie sie es machen sollen. Aber sie könnten sich ja erkundigen,
und könnten die Vögel so lange in Freiheit lassen, bis sie deren
Behandlung besser verständen.
Schon dadurch wird viel Schaden gethan, daß Mancher nicht
weiß, welche Vögel sich in einem Käfig halten lassen, und welche
nicht. Einige Arten kommen recht gut fort, wenn sie frei in de*
Stube herumhüpfen dürfen, in dem Käfig aber sterben ste vor Trau¬
rigkeit. Allein wer mag gerade immer seine Stube von einer
Bachstelze oder von einem Rothkehlchen beschmutzen lassen? Die
Fliegen fangen sie wohl weg, aber Fußboden, Möbel, Alles was sie
erreichen können, wird mit Koth besudelt. Sind es mehrere
zusammen, so entsteht oft ein unleidlicher Gestank in der Stube-
Dazu kommt noch die Gefahr, daß sie von einer Katze erhascht oder
erwürgt werden. Denn es giebt nicht viele Katzen, selbst nicht ein¬
mal viele Hunde, welche mit den Vögelchen Freundschaft halten.
Auch untereinander selbst vertragen sich manche Singvögel nicht,
besonders die Meisen und Rothkehlchen.
59. Die Lerche.
Gegrüßet seist du, du Himmelsschwinge, des Frühlings Bote,
du Liederfreundin, sei mir gegrüßet, geliebte Lerche, die beides lehret,
Gesang und Leben.
Der Morgenröthe, des Fleißes Freundin, erweckst du Felder,
belebst die Hirten z sie reiben munrer den Schlaf vom Auge: denn
ihnen singet die frühe Lerche.
Du stärkst dem Landmann die Hand am Pfluge und giebst den
Ton ihm zum Morgenliede: „Wach' auf und singe, mein Herz voll
Freude, wach' auf und singe, mein Herz voll Dankes."
Und alle Schöpfung, du Braut der Sonne, erwacht verjünget
vom langen Schlafe, die starren Bäume, ste hören wundernd Gesang
von oben und grünen wieder.
Die Zweige sprießen, die Blätter keimen, das Laub entschlüpfet
und horcht dem Liede, die Vögel girren im jungen Neste, sie üben
zweifelnd die alten Stimmen.