Heft § 93 Die Zylinderprojektionen. 98
II
ist die Mercator-Erdkarte.^) (Über Mercator s. Fuß §92.) Sie ist (f. Abb. 9)
winkeltreu, aber uicht flächentreu, da die Netzgevierte nicht wie auf dem Globus
nach den Polen hin kleiner, sondern in rascher Zunahme größer (länger) werden.2)
Während auf dem Globus ein Gradfeld unter 60° Breite halb so groß ist wie ein
solches am Äquator, ist ^ es auf der
Mercatorkarte zweimal so groß.
Island mit seinen 100 000 qkm er¬
scheint fast ebenso groß wie Bürneo
mit seinen 750 000 qkm. Die nörd¬
lichsten und südlichsten Gradfelder
reichen bis in die Unendlichkeit,
weil die Pole in der Unendlichkeit
liegen. (Da nämlich bei der Zylinder-
Projektion der Augenpunkt im Erd--
Mittelpunkt ist, so laufen die von
hier nach den Polen gehenden Pro-
jektionsstrahlen mit dem um die Erde gelegten Zylindermantel parallel, können
ihn also nie erreichen.) Es müssen der Mercator-Erdkarte also die Polgebiete fehlen.
Trotz ihrer Mängel wird sie viel gebraucht, nämlich immer dann, wenn die Größen-
Verhältnisse der Länder gleichgültig sind, also vor allen Dingen bei klimatischen,
Verkehrs- und wirtschaftsgeographischen Darstellungen der ganzen Erde.
Von größter Wichtigkeit ist aber die Mercatorkarte für die Schiffahrt, und
für ihre Zwecke hat Mercator sie auch in erster Linie konstmiert. Sie erlaubt
uämlich, den Kurs der Schiffe als gerade Liuie einzuzeichnen, was bei Karten
mit gekrümmten Meridianen nicht möglich ist3).
*) Ihre Vorgänger sind die Plankarte des Altertums und die daraus hervorgegangene
sog. spätere Plattkarte mit gleich großen rechteckigen Maschen.
2) Dieses Längerwerden nach den Polen hin erklärt sich so: Auf dem Globus werden die
Breitenkreise nach den Polen hin immer kleiner, bis sie zuletzt einen Punkt bilden, auf der Mercator-
karte sind sie aber infolge der Übertragung auf die Zy lind er fläche alle ebenso lang wie
der Äquator. Weil sie zu lang sind, müssen um der Formen- und Winkeltreue willen auch
die Meridiane in ihren einzelnen Strecken entsprechend verlängert werden, also je weiter
nach den Polen hin um so mehr. Ein abgerundetes Berechnungsbeispiel: Bekanntlich sind
die Meridiane nur auf dem Äquator 111,307km voneinander entfernt: auf dem 60. Breiten-
kreis beträgt ihre Entfernung voneinander nur noch rund die Hälfte (55,79) km, auf dem
75. Breitenkreis nur rund ein Viertel (28,90 km). Die Mercatorkarte läßt sie aber auch
hier 111,307 km von einander entfernt sein. Sie verbreitert also das Netzgeviert auf dem
60. Breitenkreis um das Doppelte, auf dem 75. Breitenkreis um das Vierfache. Dann
muß sie zum Ausgleich die Netzgevierte aber auch entsprechend verlängern; sie muß sie
also auf dem 60. Breitenkreis so lang machen, als ob sie 2 mal 111,307 km und auf dem 75., als
ob sie 4 mal 111,307 km lang wären (während sie in Wirklichkeit doch nur 111,307 km lang sind).
3) Der Schiffskurs ist der Winkel, den t)ie Längsachse des Schiffes mit dem Meridian
bildet. Wenn der Schiffer nun bei der Ausfahrt aus einem Hafen den Winkel zum Meridian
feststellt, den er innehalten muß, um sein Ziel zu erreichen, so wird, wenn er alle Meridiane
unter diesem Winkel schneidet, wenn er also seinen Kurs beibehält, die zurückgelegte Linie nicht
eine gerade, sondern eine gekrümmte sein, weil doch die Meridiane nicht parallel sind,
sondern nach den Polen hin konvergieren, so daß jede einen andern „Kurs" (Schnittwinkel) ver-
langt. Diese gekrümmte Linie nennt man Loxodrome (— schiefläufige Linie), und sie ist
auf der Mercatorkarte gerade. Die Loxodrome führt zwar zum Ziel, aber nicht auf dem
kürzesten, dem geraden Weg (der Orthodrome — rechtläufige Linie). Um der Orthodrome
zu folgen, muß der Schiffer sein Schiff fortwährend anders zu den Meridianen einstellen, also
fortwährend neue Kurswinkel berechnen. Bei größeren Reisen verzichtet man aber darauf
und fährt lieber die etwas längere Loxodrome.
"L
L
0 BD 90 60 30
Abb. Kartogr. 9: Das Gradnetz der Mer-
cator-Karte.