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B. Die Kriegsschauplätze in Europa und Vorderasien.
Gebirge, aber bequem sind sie nicht, zumal nicht im Winter, wo Kälte, Schnee, Hunger und Ein-
samkeit auf uusereu uud den habsburgischen Truppen lasteten, als sie solche Pfade gegen den ruf-
sischeu Ansturm zu verteidigen hatten, bis sie im Frühjahr 1915 im Siegesmarsche nach Galizien
hinabsteigen konnten. Czernowitz (93 000 E.), die Hauptstadt der Bukowina, im November 1914
von den Russen besetzt, wurde bereits im folgenden Februar befreit. Unter eifriger Beteiligung
aller im Ländchen hausenden Völkerstämme gelang hier damals ihre völlige Vertreibung.
Verteidigung Der Überflutung der Karpaten durch die Russen, die im September 1914 einsetzte und uu-
der Kar- erwarteterweise bis in die nächsten ungarischen Komitate lief, wurde bald eiu Damm vorgelegt;
at)er jje wiederholte sich im November uud noch viel ernstlicher im nächsten Monat. Die Gefahr
wurde dadurch vergrößert, daß die Wege von den Pässen strahlenförmig nach ungarischen Mittel-
punkten zusammenlaufen und daß, wer den einen Weg genommen hat, auch die nächsten bedroht.
Als die Russen den Dukla-Paß besetzt hatten, mochten sie sich wohl der Hoffnuug hingeben, gerades-
wegs durch eine Folge breiter Täler nach Ungarns Hauptstadt vorstoßeu zu können. Indessen die
Kräfte zum Widerstande wurden mit denen des Angriffs mehr und mehr ausgeglichen, da sich deutsche
Armeen zwischen die habsburgischeu schoben, so daß am 14. Februar 1915 der Dukla-Paß gesichert
werden konnte. Noch einmal wuchs der Ansturm, als nach dem Falle von Przemysl (23. März
1915) die Belageruugstruppeu sich an ihm beteiligen konnten. Trotzdem wurde Anfang Mai das
letzte Stück ungarischen Bodens befreit. Die völlige Säuberung der Karpaten gelang erst, als der
Seitenangriff Mackensens von Krakau her <s. unten) im weiteren Verlauf dieses Monats die rnssi-
schen Karpatenheere mit Umzingelung bedrohte und so zum Rückzüge zwaug.
Ostgaiizien. Galizien, das Karpatenvorland, stellt auf der Karte das Bild einer Schnecke dar, deren Kopf
bei Krakau liegt uud deren Häuschen sich bis an die Münduug des San in die Weichsel und bis in
die Gegend von Sokal am Bug nach Norden buckelt. Offen geht dieser Buckel, eine alte Abtra-
guugsfläche, in das Hügelland von Polen und andrerseits von Wolynien über, offen gegen den Ost-
wind, der die Quecksilbersäule in Tarnopol im Januar durchschnittlich auf —5,5° C und nicht
selten unter — 23° niederdrückt, wenig gedeckt gegen einen Einfall der Russen, die mit einem Schein
des Rechts sagen konnten, Ostgalizien sei Boden von ihrem Boden wie seine Bevölkerung Blut von
ihrem Blut. Eine gewisse Deckung gegen sie bietet die Fortsetzung der Podolischen Platte über den
Lemberg. Fluß Jkwa uach Galizieu hinein. In der Gegend von Lemberg steigt ihre Höhe über 500 m an, und
südwestlich hinter ihnen liegt diese schöue Hauptstadt Ostgalizieus (220 000 E.). Zäh genug haben
sich hier die österreichisch-ungarischeu Truppen bis Mitte September 1914 gehalteu, mußten aber
doch schließlich eine der sogenannten „Umgruppierungen" vornehmen. Im einzelneu finden sich
freilich auch in dem offenen Lande mancherlei Hindernisse, so an den zwölf größeren paral-
lelen Flüssen, die, tief in die Granitplatte eingeschnitten, von Norden her dem Dnjestr zueilen.
Dieser nimmt in seinem den Waldkarpaten parallelen Laufe weitaus die meisten Flüsse Ostgaliziens
auf. Jene Gewässer wurden von den Russen als hemmende Linien ausgenutzt, so im Juli 1915
die Zlota-Lipa, und wenn es auch den Österreichern gelungen war, das Ostufer des Strhpa zu ge-
Winnen, so haben es doch diese tiefen Flußtäler den Russen ermöglicht, den Oststreifen Galiziens
in ihrer Hand zu behalten. Leider fehlte es in den weiten Ebenen Ostgaliziens an Festungen.
Przemysl. Przemysl, die große Lagersestuug am San, liegt schon am Rande der Karpaten uud ziemlich weit
nach Westen hin. Tapfer genug hat es sich gewehrt und ist bei der zweiten Belagerung im März
Krakau. 1915 nur durch den Hunger bewältigt worden. Der zweite Platz, Krakau (175 000 E.), die alte,
auch mit deutschen Erinnerungen geschmückte Hauptstadt Polens, ist von den Kriegsereignissen
nur eben berührt worden und war in seiner Entwicklung als Festung durch die allzu nahe russische
Grenze recht gehemmt.
Westgaiizien. Auch im Weichselgebiet, in Westgalizien, fehlt es nicht an Flüssen, die von den Karpaten
jenem Strome zuziehen und einem Marsche von Osten nach Westen und umgekehrt gar sehr hinder¬
lich sein können. Davon zeugen die Kämpfe im Gebiete des Dunajec, an der Wisloka, am Wislok
und am wasserreichen San. Diese Flüsse haben den glänzenden Durchbruch der Heere Mackensens
uud des Erzherzogs Joseph Ferdinand, die aus der Gegend von Krakau ostwärts vorrückten, wohl
eiue kurze Weile hemmeu, aber nicht hindern können. Der preußische Feldherr erstürmte am 2. Mai
1915 das ungemein stark gesicherte Gorlice, der österreichische am 6. das befestigte Tarnow; kaum
zwei Wochen später wurde der Übergang über den San ermöglicht, am 3. Juni Przemysl erstürmt,
und am 22. begrüßte das jubelnde Lemberg die einziehenden Befreier. Während die beiden Heere
des Ostflügels sich nach der Zlota-Lipa wandten, ein drittes auf das Festungsdreieck Wolyniens
marschierte, schwenkten die vier anderen nach Norden ab, um in den Raum Polens, der zwischen
Bug und Weichsel liegt, in das Kampfgebiet des ersten österreichischen Angriffs, einzurücken.