IV. Die Balkan-Halbinsel.
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IV. Die Balkan-Halbinsel.
Übersicht.
Name wie Umgrenzung der Balkan-Halbinsel sind unter den Geographen gleichmäßig Grenzen.
Gegenstand der Anfechtung, denn lote allmählich das nur 600 km lange, also die Gebirgs-
linie von Oderberg bis Bayreuth wenig übertreffende Balkan-Gebirge nur künstlich und
nachher gewohnheitsmäßig die Berechtigung erlangt hat, der Südeuropäischen Halbinsel
den Namen zu geben, so findet auch die Grenzlinie Save—Drau bis zum Eisernen Tor
viele Gegner. Denn Flüsse sind zurzeit als natürliche Grenzen nicht recht geachtet;
aber wer von unseren Kriegern im Herbst 1915 mit stürmender Hand jene beiden Flüsse
überschritten hat, ist innegeworden, daß sie eine Naturgrenze bilden, die Beachtung erheischt.
Aber abwärts vom Eisernen Tor, das trotz der 1896 abgeschlossenen Regelung immer noch
ein ernstes Schiffahrtshindernis bildet, drängt sich die Frage auf: Wohin gehört Rumänien? Rumänien.
Nun mit dem Nordflügel des vogelartig^ umrisseuen Staatsgebildes, der Moldau,
größtenteils zur Russischen Ebene, die Stellung der Walachei aber zur Balkan-Halbinsel ist
genau wie die des Po-Landes zu Italien. An beiden Stellen ist ein geräumiger Einbruchs-
bnsen von den Gewässern der umliegenden Gebirge zu einer Ebene aufgeschüttet worden,
und an beiden haben Machtverhältnisse, Geschichte und Bevölkerung die in den Ebenen
erwachsenen Staaten überwiegend nach der ihnen im 8 angegliederten Halbinsel gezogen.
An beiden Stellen drängen diese Staaten jetzt zugleich nach Raumgewinn im nördlichen Hoch-
gebirge. Nach Norden hin, nach Siebenbürgen und Beßarabien sind die Wünsche Rumäniens
gerichtet, und obwohl es die Donau überschritten hat dadurch, daß es 1878 von Rußland
gezwungen wurde, die Dobrudscha für Beßarabien einzutauschen, und obwohl es diesen
Besitz 1913 durch den Frieden zu Bukarest um 8340 qkm noch mehr abgerundet hat, so
bildet die breite Donauliuie doch eine zu deutliche Scheide, als daß anzunehmen wäre, das
Königreich sähe sich hier noch nach weiteren Eroberungen um. Rumänien hat während
des Europäischen Krieges wenigstens bis ins Frühjahr 1916 hinein geschwankt, ob es sich
auf die Seite schlagen sollte, deren Hilse ihm den Anschluß der 1 Million Volksgenossen im
russischen Beßarabien gewinnen könnte, oder ob es sich an den Staat anschließen müßte,
der ihm den Gewinst von 3| Mill. Rumänen in Siebenbürgen in Aussicht zu stellen meint.
Bisher hat die Anziehungskraft des größeren Gewinnes, der zugleich durch das ange-
schlossene Siebenbürgen den Staat zu einem kreisrunden Gebilde abrunden würde, die
Stimmung der Mehrheit beherrscht trotz alles Bösen, das dem jungen Staat von Rußland
widerfahren ist und für später in sicherer Aussicht stehen würde. Der für Rumänien ge-
fährliche Angriffspunkt liegt in der am Donauknie nur 140 km breiten Vereinigungsstelle
seiner beiden Landflügel, wo ein Andrang, sei es von Rußland, sei es von Siebenbürgen
her, nicht so schwere Arbeit haben würde, sie zu trennen.
Wie Rumänien scheidet in gewissem Sinne auch Griechenland vom Rumpfe der Griechen.
Halbinsel aus. Jnsektengleich mehrmals zusammengeschnürt, gewinnt sein zergliederter Ianb-
Leib den Anspruch auf ein Sonderdasein als Staat, dessen Recht aus festländischen Besitz,
gestützt auch auf das Volkstum, nur etwa bis zu der Linie Valona—Saloniki reichen möchte.
Dafür hat es die natürliche Anwartschaft auf die Inseln und, soweit die Machtverhältnisse
reichen, auf die festländischen Küsten der Ägäis, des Restes der einst hier versunkenen Land-
welt, die einschließlich des Küstensaumes von Kleinasien bewohnt ist von Griechen und lange
vor den Tagen Herodots ihr Daseinsgebiet gewesen ist. Dazu darf nach alten Vorbildern
die zerlappte Chalkidische Halbinsel gerechnet werden; aber tief in den Rumpf der Halb-
iusel einzudringen, wie durch den Bukarester Frieden ihnen in der mazedonischen Ecke
gestattet wurde, hat für die Griechen Gefahren; ohne ein solches Eindringen wäre ihnen
» * 1 Rumänen lieben es, zu reden vom „Adler, der mit weit ausgreifenden Schwingen von den Kar,
vaten m den Pontus niederstoßt". . ' ' . j