4 Leben und Sitten der Wenden.
Leben und Sitten der Wenden. Frühzeitig trieben die Wenden
Ackerbau, Viehzucht und Fischerei. Große Strecken Landes, welche unter den
Sneven unbenutzt gelegen hatten, wnrden von ihren Nachfolgern urbar ge¬
macht. Außer Weizen, Mohn, Hirse und Hanf zogen dieselben auch vielerlei
Gartengewächse und selbst edlere Obstbäume. Auch die Bienenzucht war ihnen
wohl bekannt, unb aus dem Honig wurde ein beliebter Meth bereitet. Die
Wenden waren in ber Weberei geübt; die leinenen und die wollenen Stoffe
zu den langen Kleidern, mit welchen sie sich nach morgenländischer Art klei¬
deten, wnrden bei ihnen selbst verfertigt. An den Küsten der Ostsee wurde
besonders viel Fischfang getrieben. Theilweise übte man dort Seeräuberei
gegen die Deutschen und Dänen, welche nach Rußland hin schon damals leb¬
haften Handel trieben. Vineta, auf der Insel Wollin, war in früher Zeit
schon ein Handelsplatz, wo sich Kaufleute aus allen Weltgegenden zusammen¬
fanden, und von wo aus die Erzeugnisse fremden Kunslfleißes, Ringe, Arm¬
bänder, Glasperlen u. s. w. verbreitet wurden; die Wenden tauschten diese
Luxusgegenstände gegen Bernstein und gegen ihre gewebten Stoffe ein.
Bei einem Volk, welches Ackerbau und selbst einzelne Kunstfertigkeiten
übt, müssen wir erwarten, daß es sich auch mehr, als die alten Sneven, an
feste Wohnsitze gewöhnt haben werde. In der That finden wir bei den Wen¬
den frühzeitig sichere Wohnhäuser, aus Holz und Lehm gebaut und zu Dörfern
und Flecken vereinigt, hier und da zu ihrem Schutz eine feste Burg (oder
Gart) daneben. Bei einer solchen Burg bildeten sich dann gewöhnlich größere
Vereinigungen von Wohnhäusern, aus welchen Städte entstanden, die zum
Theil von der schützenden Burg den Namen erhielten. Noch heute deuten
Benennungen wie Stargardt u. a. auf diesen Ursprung hin.
In jedem Hause hatte der Familienvater unbeschränkte Herrschaft; feine
Angehörigen waren seinem Willen unbedingt anheimgegeben, selbst über ihr
Leben konnte er bestimmen. Es war gestattet, viele Frauen zu gleicher Zeit
zu haben; sie waren aber nicht die Gefährtinnen des Mannes und hatten nicht
die Rechte und die Würde, welche der Frau im christlichen Hausstande zu¬
kommt; sie waren wie Sklavinnen gehalten, erfuhren oft die härteste Behand¬
lung unb wurden bei des Mannes Tode mit ihm verbrannt, wenn sie es nicht
vorzogen, sich selbst zu todten. Da ein solches Loos der Frauen harrte, war
es kein Wunder, daß die Mütter oft ihre neugeborenen Mädchen im Walde
oder auf dem Wasser aussetzten, um sie lieber früh umkommen, als die Mühen
des Lebens ertragen zu lassen. Während die Eltern über Leben und Tod ihrer
Kinder verfügten, war es dagegen nicht selten, daß greise Männer von ihren
Söhnen den Tod als eine Wohlthat erbaten. Theils sahen sie es als einen
Vortheil an, die Mühen und Schwächen des Greisenalters nicht ertragen zu
dürfen, theils standen sie in dem Wahn, daß nur diejenigen, welche eines ge¬
waltsamen Todes gestorben, der Freuden des himmlischen Aufenthalts in Wal¬
halla theilhaftig würden. Wenn sie daher nicht im Kriege sterben konnten, so
erschien es ihnen als eine Gunst, wenn ihre Kinder oder Freunde ihnen das
Leben nahmen; oft machten sie demselben mit eigener Hand durch das Schwert
oder den Dolch ein Ende.
Die Wenden lebten einfach und nüchtern. Sie ehrten und übten wie die
Deutschen die Tugend der Gastfreundschaft; jeder Fremde fand überall be-