Full text: Deutsche Geschichte bis zum Ausgang des Mittelalters (Teil 1)

— XVI — 
lassen. Dabei ist ein etwaiges langes Moralisieren, eine kleinliche Nutzan¬ 
wendung von Tugend und Laster nicht nur überflüssig, sondern sogar 
schädlich. Haben die Schüler die Tugend als Tugend, das Laster als Laster, 
wenn auch an geschichtlich hervorragenden Persönlichkeiten, klar erkannt, ver¬ 
mögen sie das so gewonnene sittliche Urteil zu begründen, so dürfte diese 
bloße Erkenntnis von weit tieferer und nachhaltigerer Wirkung sein als 
lange Moralpredigten. Wir wollen also ethische Vertiefung, sittliche 
Beurteilung der geschichtlichen Tatsachen, nicht etwa frömmelndes Morali¬ 
sieren. Die einfache Frage: „Was gefällt uns" oder „Was gefällt uns 
nicht an einer Person?" leitet meist diesen Urteilsprozeß ein, und hier ist 
der Selbsttätigkeit der Schüler das weiteste Feld als Tummelplatz ihrer 
Geisteskräfte gegeben. Wenn dann die gewonnenen, nicht vom Lehrer 
aufgezwungenen Urteile in Sprüchen, Geboten, Sprichwörtern,Dichterworten 
zusammengefaßt und später zu einem ethischen System zusammengestellt werden, 
so erarbeiten sich die Schüler einen Schatz, der sicher sobald nicht wieder 
verloren geht. Eine solche Vertiefung nötigt auch den Schüler, immer den 
ganzen Stoff zu überblicken, um die guten und schlechten Seiten von Per¬ 
sonen und Handlungen aufzufinden, fördert also Denkkraft und geistige Reg¬ 
samkeit in hervorragendem Maße. 
3. Auf der dritten Stufe wird dann durch mannigfache Verknüpfung 
und Vergleichung, die immer von den Schülern anzustellen und vom Lehrer 
nur zu leiten ist, die Denkfähigkeit der Schüler und deren Urteilskraft 
besonders geübt. Nicht nur Personen nnd Tatsachen, auch Zustände und 
Örtlichkeiten werden miteinander verglichen. Dadurch wird das ganze er¬ 
arbeitete Geschichtsmaterial noch weiter vertieft, in beständigem Fluß erhalten 
und wiederholt, eine Wiederholung, wie man sie sich intensiver, mannigfaltiger 
und den kindlichen Geist anregender und fesselnder nicht denken kann. Ver¬ 
gleiche nicht nur mit der Vergangenheit, sondern, wo es irgend angeht, auch 
mit der Gegenwart anzustellen, ist unabweisbare Pflicht, damit durch solche 
Vergleiche das Verständnis für die Gegenwart immer mehr angebahnt und 
gefördert wird. Selbst einzelne Jahreszahlen, z. B. 14 und 814, 33 und 
933 usw. haften durch Vergleichung viel fester und nachdrücklicher im Ge¬ 
dächtnis, und sollte man derartige kleine Vorteile nicht außer acht lassen. 
4. Auf der vierten Stufe werden dann die Ergebnisse des Unterrichts 
in besonderen Systemen zusammengefaßt, damit sie dem Gedächtnisse noch 
unverlierbarer sich einprägen. Werden diese-Ergebnisse in größeren Zwischen¬ 
räumen — nach jedem der zwölf großen Abschnitte, jedenfalls aber am Schluffe 
des Schuljahres — zusammengestellt und historische, geographische, ethische 
uud kulturhistorische Reihen gebildet, so verschaffen sie dem Schüler eine 
äußerlich und innerlich zusammenhängende Übersicht über das ganze Ge¬ 
schichtsmaterial, was für das Verständnis der Gegenwart und für einen ver¬ 
ständigen Blick in die historische Entwicklung unserer heutigen Zustände von 
nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. 
5. Die fünfte Stufe bringt als Anwendung des Gelernten stets eine 
Anzahl von Aufgaben, deren Lösung trotz ihrer Beziehung zum dargebotenen 
Stoffe doch meist eine gewisse Selbständigkeit erfordert. Sie find eben¬ 
falls geeignet, die Selbsttätigkeit anzuregen, das Denken zu fördern und 
die lebendige Tätigkeit der Phantasie zu begünstigen. Wenn manche der-
	        
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