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Mitteleuropa.
Das Wasser in den Alpen. Der große Reichtum an Regen und Schnee bringt
es mit sich, daß das Gebirge außerordentlich gut bewässert ist. Von allen
Hängen stürzen Bäche, zum Teil als prächtige Wasserfälle, zu Tal. In
den Haupttälern strömen große Flüsse. Bald fließt das kristallklare, grünlich
schimmernde Wasser ruhig dahin; bald zerstäubt es zu weißem Gischt an den
im Wege liegenden Blöcken. Aber
nicht immer erscheinen die Ge-
Wässer so harmlos und malerisch
wie meist in den Sommerferien.
Ein einziges Hochgewitter, ein
starker Föhn lassen die kleinsten
Rinnsale zu reißenden Wild w äs-
sern anschwellen. Aller lockere
Schutt wird von den Hängen
losgespült. Die Felsstücke, die
im Winter von dem in den
Spalten gefrierenden Wasser ge-
lockert worden sind, brechen voll-
ends ab, und der Bach wälzt
Blöcke, Schlamm, entwurzelte
Bäume talwärts. Wo er in die
breitere Talebene einmündet,
häuft er alles Trümmerwerk in
einem fächerartig ausgebreiteten
Schuttkegel auf, der nun auf
Jahre hinaus eine pflanzenleere
Steinwildnis bleibt. Erst bei
einem solchen Unwetter erkennt
man die gewaltige Kraft des
Wassers, die hier tiefe Risse in
den Boden gräbt und selbst den
festen Fels in Schluchten und
Klammen zersägt, dort Schutt
in haushohen Lagen aufhäuft.
Ter malerische, wildzerrissene
Charakter der Alpenlandschaft
ist in erster Linie durch die
Arbeit des fließenden Wassers
entstanden. Wie die Ruine einer mächtigen Burg ist das Alpengebiet von heute
nur der Rest einer viel größeren Gebirgsmasse. Und wenn einst diese Ruine
bis auf ihre Grundmauern zerstört und abgetragen sein wird, dann werden die
Alpen vielleicht einmal so niedrige, sanfte Buckel haben wie unser Erzgebirge!
In die Flußläufe sind an vielen Stellen Seen eingeschaltet. Dort bleibt
der Schutt liegen; das Wasser klärt sich. Deshalb nennt man diese Seen oft
die Läuterungsbecken der Flüsse. Mit der Zeit werden sie mit Schutt völlig
angefüllt und in ebene Talflächen verwandelt. Die tiefsten und größten See-
Liechtensteinklamm, größte Klamm der Ostalpen,
nahe dem Knie der Salzach. Links der Weg, zum Teil als
Tunnel in den Felsen gehauen.