508 Familienleben im 18. Jahrhundert. 
Künstler und Diener. Nun mühte sich auch der deutsche Hofadel um fran¬ 
zösische Sitten und Umgangsformen ab, damit die fremden Glücksritter ihn 
nicht gänzlich aus der Nähe der Fürsten verdrängten. Was ihm selbst 
unerreichbar blieb, suchte er wenigstens seinen Kindern zu verschaffen, indem 
er ihnen französische Lehrmeister und Gouvernanten gab. Seit dem Ende 
des 17. Jahrhunderts erschienen bie altbeutschen Fürstencharaktere immer 
seltener, unb bie höheren Stänbe würben in ben innersten Keimen ber Ent¬ 
wickelung burch bie neue Erziehung verborben. Eine abgeschliffene Manier, 
herzlose Kälte unb frostige Witzelei verwischten jebe vaterländische Eigen¬ 
tümlichkeit. Die vielen, welche sich an bie Vornehmen nur beshalb bräng- 
ten, weil sie vornehm waren, machten bie französische Lebensart sofort auch 
zum Gegenstaube ihres Strebens, unb etwas später, als sich nach der Auf¬ 
hebung des Edikts von Nantes viele Franzosen in Deutschland angesiebelt 
hatten, würbe auch ber bessere Teil unseres Volkes von einer verunglückten 
Nachahmung bes französischen Wesens ergriffen. 
Selbst von bem fernen, abgelegenen Rügen erzählt Arnbt noch aus beut 
letzten Drittel bes vorigen Jahrhunderts: „Es ging bei festlichen Gelegen¬ 
heiten in dem Haufe eines guten Pächters oder eines schlichten Dorfpfarrers 
ganz ebenso her, wie in dem eines Baron ober Herrn Majors Von, mit 
derselben Feierlichkeit unb Verzierung bes Lebens. Es war ber Perückenstil 
oder der heuchlerisch welsch und jesuitisch verzierlichte und vermanierlichte 
Schnörkel- unb Arabeskenstil, ber von Lubwig XIV. bis an bie französische 
Umwälzung hinab gebauert hat. Noch lächelt mir's im Herzen, wenn ich 
der Putzzimmer ber bamaligen Zeit gebenfe. Langsam, feierlich, mit un- 
lieblichen Schwenkungen unb Knicksungen bewegte sich bie runbliche Frau 
Pastorin unb Pachterin mit ihren Mamsellen Töchtern gegen einanber, um 
die Hüften wulstige Poschen geschlagen, das oft falsche dicht eingepuderte 
Haar zu drei Stockwerken Locken aufgetürmt, die Füße auf hohen Absätzen 
chinesisch in die engsten Schuhe eingezwängt, wackelig einhertrippelnd — 
und die Jungen? O, es war eine schreckliche Kopfmarter bei solchen Fest¬ 
lichkeiten. Oft bedurfte es einer vollen, ausgeschlagenen Stunde, bis ber 
Zopf gesteift unb bas Toupet unb bie Locken mit Wachs, Pomabe, Nabeln 
unb Puber geglättet unb aufgetürmt waren. Da warb, wenn brei, vier 
Jungen in ber Eile fertig gemacht werben sollten, mit Wachs unb Pomabe 
daraus geschlagen, baß bie hellen Thränen über bie Wangen liefen. Unb 
wenn bie armen Knaben nun in bie Gesellschaft traten, mußten sie bei jeber- 
mamtlich, bei Herren unb Damen mit tiefer Verbeugung bie Runbe machen 
unb bie Hanb küssen. Auch französische Brocken würben hin unb wieber 
ausgeworfen, unb ich weiß, wie ich in mir erlächelte, als ich bas Welsche 
orbentlich zu lernen anfing, wenn ich an bas Wun Schur! (Bon jour) 
unb ä la Wundör (ä la bonne beure) ober an bie Fladrun (flacon), 
wie bas gnöbige Fräulein ihre Wasserflasche nannte, zurückdachte, und wie 
die Jagdjunker und Pächter, wenn sie zu Roß zusammenstießen, sich mit 
solchen und ähnlichen Floskeln zu begrüßen und vornehm zu bewerfen pflegten."
	        
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