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am 5. August 1901 nach schwerem Leiden ihrem unvergeßlichen hohen Gemahl
in die Ewigkeit folgte.
42. Ein Arbeitstag des Deutschen Kaisers.
Nach Oskar Klaußmann.
Kaiser Wilhelm II. gehört zu den fleißigsten Monarchen, die es je
gegeben hat, und seine Arbeitskraft ist wahrhaft bewundernswert. Schon
um fünf Uhr morgens erhebt er sich vom Lager. Nach dem Frühstück
begibt er sich in sein Arbeitszimmer, wo seiner bereits ganze Slöße von
Briefen und Altenstücken harren, die während der Nacht von außerhalb ein—
getroffen sind. Da der Kaiser alle diese Angelegenheiten selbst erledigt, so
darf er sich keinen Augenblick Ruhe gönnen, wenn er mit dem ganzen Vorrat
aufräumen will. „Niemals Rückstände lassen!“ ist sein Grundsatz, und den
führt er durch, müßte er sich die Zeit dazu auch vom Schlaf oder von den
Mahlzeiten abbrechen. Um sieben Uhr tritt er auf kurze Zeit bei seinen
Kindern ein, um ihnen den Morgengruß zu bieten. Dann kehrt er in sein
Arbeitszimmer zurück und berät mit dem Haus- und Hofmarschall die
Angelegenheiten des kaiserlichen Haushaltes, prüft Rechnungen, bewilligt
Forderungen, bespricht die Veranstaltung von Festlichkeiten und Reisen, kurzum
er besorgt wie jeder Familienvater sein Haus.
In wichtigen Fällen erscheinen schon um acht Uhr die Minister oder
vortragenden Räte, Generale oder andere hohe Beamte. Sie erstatten dem
Kaiser Bericht über diese und jene Sache und legen ihm die fertiggestellten
Entscheide zur Unterschrift vor. Dabei geht der Kaiser mit der größten
Gründlichkeit zu Werke. Wiederholt hat er den Herren, die ihm Vortrag
halten, erklärt. „Ich weiß wohl, wie große Mühe ich Ihnen verursache;
aber ich kann nicht anders; denn mein Gewissen gestattet mir nicht, flüchtig
in meinen Entscheidungen zu sein.“ Es kommt vor, daß Beamte mit
zwanzig verschiedenen Akltenstücken erscheinen, die sämtlich gründlich durch—
gesprochen werden, daß sie aber mit nur drei Unterschriften das Kabinett
des Kaisers verlassen; in allen Fällen fordert der Monarch noch Aufklärungen,
bevor er unterschreibt. Er weiß wohl, daß von einem Federzuge seiner
Hand oft das Lebensglück vieler Menschen, das Wohl und Wehe des ganzen
Staates abhängt. Gegen neun Uhr macht der Kaifer eine Ausfahrt, an die
sich ein ziemlich starker Spaziergang anschließt. Bei ungünstigem Wetter
begibt er sich in die Reitbahn, wo er sich drei Viertelstunden Bewegung
verschafft. Er ist ein ausgezeichneter Reiter, Fechter, Schwimmer und Schütze.
Gegen elf Uhr werden die Besprechungen und Vorträge fortgesetzt, und
dann beginnen die zeitraubenden und ermudenden Empfänge. Höhere Offiziere,
die befördert worden sind, oder neu ernannte hohe Beamte stellen sich dem
Landesherrn vor; andere überbringen die Orden verstorbener Verwandten;
oder der Kaiser empfängt Gesandte fremder Staaten, Fürstlichkeiten oder
auch Privatleute. Für jeden hat der hohe Herr einige Minuten ungeteilter
Aufmerksamkeit. Oft wechselt er in den Empfangsstunden mehreremal die
Uniform. Überbringt z. B. der Sohn eines verstorbenen Artilleriegenerals
die Orden seines Vaters, so legt der oberste Kriegsherr für diesen Empfang,
der doch nur wenige Minuten dauert, Artillerieuniform an, um den Ver—
storbenen zu ehren. Auch der höflichste Privatmann würde sich solche Un—
bequemlichteiten nicht auferlegen. Mittlerweile ist es zwei Uhr geworden.