12 1. Abschnitt. Die Landschaften und Staaten Süddeutschlands.
Weide. Zwei- bis dreimal des Tages werden sie gemolken. Aus der
Milch bereitet der Senne Butter oder Käse. Für den Sennen giebt es
daher täglich viel zu thun. Von dem Leben und Treiben der Menschen im
Thale hört und sieht der Senue nur selten etwas. Nur alle 8 bis 14 Tage
kommt aus dem Thale eine Bote, der einige Nahrungsmittel, besonders Brot
bringt und Butter und Käse, die der Senne bereitet hat. mit zu Thale
nimmt. So lebt der Hirte mit seiner Herde auf der luftigen, sonnigen Alp,
bis des Winters Boten nahen. Wenn aber graue Nebelwolken die Berg-
spitzen einzuhüllen beginnen, treibt der Hirt seine Herde langsam abwärts:
am Michaelistag jedoch kehrt er in sein stilles Dörfchen zurück, wo er von
allen Dorfbewohnern freudig und festlich empfangen wird. (Zu gewinnen
auf Grund von Bildern: Bergfahrt, Auf der Alm und Thalfahrt.)
Ob denn auch zuweilen jemand in der Sennhütte
Einkehr hält? Gewiß; gar manchmal stellt sich in der einsamen Senn-
Hütte Besuch ein. Vergnügungsreisende, von kräftigen Führern begleitet, er-
klettern mit langen, festen Bergstöcken die Höhen und halten Rast in der
Sennhütte, um die matten Glieder auszuruhen und sich an Speise und Trank
zu laben. Manchmal sucht auch der Gemsjäger die Sennhütte ans. An
seinen kurzen Lederhosen und an seiner granen Joppe mit grünem Kragen
und grünen Aufschlägeu ist er leicht zu erkennen. Er klettert in den Bergen
umher, um den Wilddieben nachzuspüren, welche die flüchtigen Gemsen uu-
erlaubterweise erlegen. Oft trifft er bei seinem schweren Dienste den Wurzel-
gräber an, der die Wurzelu nützlicher Alpenkräuter ausgräbt und sammelt,
um aus ihnen heilsame Arznei zu bereitem Auch der muntere Geisbub, der
hoch oben im Gebirge seine Ziegenherde weidet, kommt zuweilen in die
Sennhütte, um sich an einer warmen Milchsuppe zu erquicken.
Ob das Leben in den Bergen nicht mit manchen Ge-
fahren verbunden ist? Der Alpenbewohner wird von mancherlei Ge-
fahren bedroht. Gar oft führen die schmalen Bergpfade dicht am Abgrunde
hin, uud nicht selten kommt es vor, daß Nebel den Weg verhüllen, so daß
der Wanderer vom Wege abkommt und in die Tiefe stürzt. Größer aber
noch sind die Gefahren, die oft ans dem bedeutenden Schneefall entstehen.
In den Alpen fällt der Schnee im Winter oft so hoch, daß er bis znm
Dache hinanf reicht. Wege und Stege sind verschneit, und tage-, ja Wochen-
lang sind die Bewohner des Alpendorfes vom Verkehr abgesperrt. Da ist
das Wandern im Gebirge unmöglich, und wer während solch heftigen Schnee-
falls draußen im Freien sich befindet, dem droht der sichere Tod. Ge-
fährlicher aber noch werden diese Schneemassen, wenn der Frühling naht
und plötzlich Tauwetter eintritt. Dann löst sich der frischgefallene Schnee oft
von seinem harten Lager und gleitet den Abhang hinab, erst langsam, dann
immer schneller und zuletzt mit solcher Geschwindigkeit und Gewalt, daß die
Schneemassen sich auf der schnellen Fahrt überstürzen, Erde, Schutt und
Felsblöcke mit sich fortreißen uud die schlanken Fichten und Tannen um-
knicken. Unter donnerähnlichem Getöse stürzt die Lawine ins Thal nnd be-
gräbt Häuser, Menschen uud Vieh unter ihrer Last. — Aber nicht bloß im
Winter und Frühling, sondern auch im Hochsommer umschweben den Alpen-
bewohner große Gefahren. Zuweilen sind die Gewitter von heftigen Regen¬