Full text: Deutsche Kulturgeographie

170 V. Das Deutschtum im Auslande. 
land. Das alles gab weitere Veranlassung zu zahlreichen Aus- 
Wanderungen. Wohin aber die Deutschen auch kamen, überall 
bezeugten sie ihre kulturfördernde Kraft. Eine staaten- 
gründende Kraft trat bei den Auswanderern vom 16. und 17. Jahr- 
hundert an wenig zu Tage. Diese Kraft schien auf die Spanier 
und Holländer, Engländer und Franzosen übergegangen zu sein, 
die damals in eigenen Kolonien neuen Boden für ihre über- 
schüssige Volkskraft gewannen. Deutschland war politisch zer- 
splittert, konfessionell zerrissen und stand bei der Aufteilung der 
Erde zu jenen Zeiten untätig beiseite und wurde an Macht und 
Glanz von den neu aufstrebenden See- und Handelsmächten 
überflügelt. War unser Volk auch politisch krank, so doch nicht 
physisch; das bezeugt das gewaltige Maß von Volkskraft, das es 
an das Ausland abgab. Eine mächtige Flut deutscher Auswanderer 
ergoß sich in die Fremde, und in den letzten Jahrhunderten haben 
sich größere Menschenmassen von der deutschen Scholle losgelöst 
als je zur Völkerwanderungszeit. 
In Europa suchten deutsche Kolonisten insbesondere über 
die Ostgrenze deutscher Bevölkerung weit hinaus eine neue 
Heimat. Die Auswanderung nach russischen Gebietsteilen 
hat lange angehalten, indessen ist sie numerisch gar nicht mit der- 
jenigen zu vergleichen, die besonders seit Anfang des 19. Jahr- 
Hunderts erstarkte und fast ausschließlich überseeische Länder zu 
ihrem Ziele erwählte. Namentlich Nordamerika, wo seit 1683 
die ersten Deutschen ansässig waren, zog die Auswanderer an, 
und bereits 1820 hatten Hunderttausende von Deutschen dort 
ihren ständigen Wohnsitz. Der Zug nach Nordamerika ist auch 
heute noch so stark, daß über 90 °/0 der gesamten deutschen Aus- 
Wanderung nach den Vereinigten Staaten und Kanada gerichtet 
ist, 1910 sogar 95 %. 
Die Notjahre 1816/17 und die Zunahme der Bevölkerung 
in den folgenden Jahren haben viele überschüssige Elemente des 
deutschen Volkes in ausländische Gebiete gelenkt. Nordamerika 
nahm mit offenem Arm die deutschen Auswanderer auf, die in 
Scharen kamen, um die Ungeheuern brachliegenden Fluren der 
Vereinigten Staaten zu besiedeln. Mittel- und Südamerika 
vermochte nur einen Bruchteil der deutschen Auswanderung an 
sich zu ziehen; die wenigen Hundert Menschen wandten sich Haupt- 
sächlich nach MeXiko und Südbrasilien. Auch Südafrika 
und Australien empfingen um diese Zeiten die ersten deutschen 
Einwanderer. Nach Asien wandten sich württembergische Sektierer, 
Mitglieder der Tempelgemeinde, und eröffneten seit 1869 Syrien 
dem Zuzug ihrer Glaubens- und Volksgenossen. Das O s tj o r d a n- 
land wurde auch als Siedlungsgebiet empfohlen. Für die Aus¬ 
wanderung nach jenen Gegenden sorgt in Stuttgart eine besondere 
„Gesellschaft zur Förderung der deutschen Ansiedlungen in 
Palästina".
	        
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