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33. Das Land Hadeln.
Unter allen fruchtbaren Marschen von Holland an j oder an den Ufern der
Ems, der Weser, der Elbe, bis hinauf nach Nordfriesland, gibt eö wohl keine,
die in schöner Frühlings- und Sommerzeit solch ein Bild mächtiger Fülle und
Ueppigkeit darbietet, keine, deren kräftiges Volk seit uralten Zeiten in Sturm und
'Wechsel der Jahrhunderte so viele Freiheiten und Rechte und eine so straffe Selbst¬
ständigkeit und Unabhängigkeit in der Verwaltung seiner inneren Angelegenheiten
zu behaupten wußte, als das Land Hadeln, die nördlichste Marsch am linken
Elb nfer.
Hadeln ist im Sommer von einem Gilde zum andern ein prächtig wogendes
Saatenmeer. Viehzucht tritt gegen den Ackerbau gänzlich in den Hintergrund,
denn sie wird nur zur Düngererzielung wie zum eigenen Milch- und Fleischbedarf
getrieben, und fast nur auf dem mächtigen Außendeiche-(Groden) und auf ein¬
zelnen Kleeäckern weidet Rindvieh. Sonst erblickt man ringsum nur gelbe,
leuchtende Rappöäcker, köstliche Weizenfelder und hochwogende Roggenfluren, deren
rundgewölbte, einzelne Ackerstücke von ungeheurer Länge durch ansehnliche Gräben
von einander getrennt siizd.
Hadeln zerfällt sehr naturgemäß in sein Hochland und Sietland. Letzteres
liegt gegen Süden, begrenzt von großen Mooren und Sümpfen. Bis auf die
letzte Zeit bot es jeden Winter nur eine unabsehbare Wasserfläche dar, weil alles
Land weit und breit ringsum von den ausgetretenen Seen so überflutet wurde,
daß nur die höher gelegenen Häuser und Dörfer aus der Wasserfläche ragten.
AllerVerkehr im Lande fand also durch Boote statt; in ihnen fuhr man zur Kirche,
zum Besuch und sah Hochzeits- und Leichenzüge in solchen Bootflottillen. Hatte
es aber gefroren und wollte das Eis weder halten noch brechen,, dann war auch
der letzte Verkehr im Innern aufgehoben. An die Aussaat des Winterkorns war
natürlich nicht zu denken, nur Gerste und namentlich Hafer säete man in's
feuchte Land.
Jetzt ist das alles anders. Seit einigen Jahren zieht sich nämlich ein breiter
Abwässerungskanal, von jenen Sümpfen und Seen beginnend, mitten durchs
niedere Land und mündet vermittelst einer mächtigen Schleuse unweit Otterndorf
in die Elbe. Damit ist denn die alte Wassernatur des Landes wie mit einem
Male aufgehoben, so daß jetzt im Winter nur noch ein verhältnismäßig sehr kleiner
Theil davon unter Wasser steht, die meisten Aecker aber im Werthe auf's Doppelte
und Dreifache gestiegen sind.
Das Hochland, dicht hinter dem starken Elbdeiche liegend, ist und bleibt indes
das rechte Kornland und dasjenige-, welches man im Auge hat, wenn man von
hadelnscher Pracht und Ueppigkeit, Luxus und Cultur spricht.
Ueberall umher gestreut ragen hier ans dem mächtigen Saatenmeere die ein¬
zelnen herrlichen Gehöfte hervor, und da sie alle mit reichem Baumwuchs, meistens
Eschen, Erlen, auch wohl Linden, umgrünt sind, erscheint auf den ersten Blick das
ganze Land von schönen Gehölzen durchzogen, denn nur sehr selten kann das Auge
den Horizont erreichen.
In den eigentlichen Dörfern, die um die Kirchen gruppiert sind, wohnen außer