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Vicht, was lebendig, kraftvoll sich verkündigt,
Ist das gefährlich Furchthare. Das ganz
Winne ist's, das ewig Gestrige,
Was immer war und immer wiederkehrt
Und morgen gilt, weil's heute hat gegolten!
Denn aus Gemeinem ist der Mensch nnhl
Und die Gewohnheit nennt er seine Amme.
Weh dem, der an den würdig alten Hausrat
Ihn rührt, das teure Erbstück seiner Ahnen!
as Jahr übt eine heiligende Kraff;
Was grau vor Alter ist, das ist ihm göttlich.
Sei im Besitze, und du wohnst im Recht,
Und heilig wird's die Menge dir bewahren.
(Zu dem PVagen, der hereintritt.)
Der schwed'sche Oberst? Ist er's? Nun, er komme.
(Page geht. Wallenstein hat den Blick nachdenkend auf die Thüre geheftet.)
VNoch ist sie rein — noch! das Verhrechen kam
VNicht über diese Schwelle noch — So schmal ist
Die Grenze, die zwei Lebenspfade scheidet!
164. Brief Schillers an Meyer.
An Professor Meyer nach Stäfa.
Jena, den 21. Juli 1797.
Herzlich heißen wir Sie willkommen auf deutschem Boden, lieber Freund.
Die Sorge um Sie hat uns oft beunruhigt und innig freuen wir uns Ihrer
zurückkehrenden Gesundheit. evt
Schämen muß ich mich, daß die erste Zeile von mir Sie schon wieder
auf dem Rückwege zu uns antrifft, aber wie viel ich Ihnen auch mündlich
auen gehabt hätte, so fand ich doch nichts, was ich üher die Berge hätte
chicken mögen. Was wir trieben und wie es um uns stand, das erfuhren
Sie von unserm Freund, und der wird Ihnen auch gesagt haben, wie sehr
Sie uns gegenwärtig waren. Von ihm habe ich mit herzlichem Anteil ver—
nommen, wãs Sie betrifft, wie trefflich Sie Ihre Zeit benutzten und welche
Schätze Sie für uns alle sammelten. Auch wir waren indes nicht unthätig,
wie Sie wissen, und am wenigsten unser Freund, der sich in den letzten
Jahren wirklich selbst übertroffen hat. Sein episches Gedicht*) haben Sie
gelesen; Sie werden gestehen, daß es der Gipfel seiner und unserer ganzen
neuen Kunst ist. Ich habe es entstehen sehen und mich fast, ebensosehr über
die Art der Entstehung, als über das Werk verwundert. Während wir andern
mühselig sammeln und prüfen müssen, um etwas Leidliches langsam hervor—
zuhringen, darf er nur leis an dem Baume schütteln, um sich die schönsten Früchte,
reif und schwer, zufallen zu lassen. Es ist unglaublich, mit welcher Leichtigkeit
er gent die icnn eines wohlangewandten Lebens und einer anhaltenden
Bildung an sich selber einerntet, wie bedeutend und sicher jetzt alle seine
Schritte sind, wie ihn die Klarheit über sich selbst und über die Gegenstände
vor jedem eiteln Streben und Herumtappen bewahrt. Doch Sie haben ihn
jetzt selbst, und können sich von allem dem mit eigenen Augen überzeugen.
Sie werden mir aber auch darin beipflichten, daß er auf dem Gipfel, wo er
jetzt steht, mehr darauf denken muß, die schöne Form, die er, sich e
zur Darstellung zu bringen, als näch neuem Stoffe auszugehen, kurz, daß er
jetzt ganz der poetischen nn leben muß. Wenn es einmal einer unter
Tausenden, die darnach streben, dahingebracht hat, ein schönes vollendetes
Ganzes aus sich zu machen, der kann meines Erachtens nichts Besseres thun,
*) Goethes Hermann und Dorothea.