Full text: Lehrbuch des geographischen Anschauungs- und Denkunterrichts

374 
jedem Jahrhundert 5 Zoll.) Die Priester verkündeten sonst, wie die Flut 
am Nilmesser stehe; (zeigt er 8 Ellen, so pflegt das Getreide nur spärlich 
zu gedeihen; erreicht sie aber 14 Ellen, so läßt sich eine üppige Ernte er- 
warten); darnach traf der Landmann seine Vorbereitungen zu einer kärglichen 
oder reichlichen Ernte. Deiche, Kanäle und Schleusen mußten sich selbst im 
Beginn der menschlichen Gesellschaft aufdrängen, deren Bestand auch durch 
Lage und Begrenzung des Landes gesichert war, im W. durch die brennende 
Sandwüste, im O. durch das Meer. So konnte Aegypten „die Geburtsstätte 
europäischer Civilisation" werden. Die Lage am Meer zwischen Asien und 
Europa drängte Aegypten, nach Ueberwindnng des Absperrungssystems, ein 
Seestaat zu werden. Das unterworfene Syrien mußte ihm das fehlende 
Bauholz liefern. 
Diese Lage an der großen Verkehrs- und Handelsstraße zwischen dem 
Abend- und Morgenlande erhielt Aegypten seine Bedeutung, trotz der der- 
derblichen Herrschaft der Mamelucken, auch noch im Mittelalter. Erst durch 
die Entdeckung Amerikas und die Umschiffung Afrikas verlor es dieselbe. 
Die Anlegung des Kanals von Suez in neuerer Zeit und die dadurch wieder 
herbeigeführte Berührung mit den eivilisirten Völkern kann nicht verfehlen, 
die fehr herunter gekommene Bevölkerung und das Land zu neuer Blüthe 
zu erheben. Eisenbahnen und Telegraphen, welche schon jetzt das Land 
durchziehen, neue Kanäle und Brücken, Fabrikanlagen aller Art, sowie selbst 
Schulen nach europäischem Muster sprechen dafür.2) 
Die Luft ist trocken. „Die Sonne Aegyptens strahlt nicht, da keine 
Wolken sie stören, sie scheint und gießt ihr Licht überall hin gleichmäßig aus." 
Zur Zeit der Frühlings-Tag- und Nachtgleiche weht der glühende Wüsten- 
wind Khamsin oder Samum, welcher die Temperatur (bis 49° R.) und 
Trockenheit der Lust bedeutend erhöht, die Sonne röthlich braun und die 
Luft wie durch ein hellgelbes Glas gesehen erscheinen läßt. 
Die Natur des Landes spiegelt sich selbst in den religiösen Vorstellungen 
der alten Aegypter wieder. „Der Grundgedanke der ägyptischen Religion 
ist der Gegensatz des Lebens und des Todes. Aegypten war eine Oase in 
der Wüste und dieses Gebiet des Lebens umgab ringsum Unfruchtbarkeit und 
Tod." Daher verehrten die Aegypter in Osiris und Isis die wohlthätigen 
Kräfte der Natur: in dem Bilde jenes den die Erde befruchtenden Nil sowie 
die jene Fruchtbarkeit bewirkende Sonne; in dem Bilde dieser die befruchtete 
Erde selbst; und der Typhon war das Bild des versengenden Sturmwindes. 
Als Ausdruck des Wunsches, der Vernichtung zu entrinnen, muß man die 
Sitte des Einbalfamirens und die Errichtung der Pyramiden und 
Felsengräber betrachten. 
Die ägyptische Geschichte reicht bis 4000 Jahre v. Chr. zurück, wie 
1) „Der Koloß Ramses II. ist nach redlicher Schätzung von einem 9' 4" hohen 
Bodensatz umgeben; errichtet wurde er vor 3215 Jahren, was 3V2" während eines 
Jahrhunderts ergiebt. Unter demselben setzen sich jedoch ähnliche Lagen bis zu 
einer Tiefe von 30' fort, was in gleichem Verhältnisse 13,500 Jahre ergeben würde." 
Draper. 
2) M. Lüttke nennt Aegypten geradezu „den Zukunftsstaat des Orients".
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.