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Schneedecke unheimlich zu rauschen. Denn die Schneewasser, welche
von dem steilen Rande niederrinnen, sammeln sich auf dem Boden
der Schlucht zu einem Bache, unterhöhlen die Schneemasse, von
welcher die Schlucht ganz ausgefüllt ist, und da mit jedem Tage
die Wassermenge zunimmt, da kalte Regen auch von oben herab
den Schnee aufzehren, so verwandelt sich die Schneeluft sehr bald
in das Bett eines schäumenden Baches, der brausend die Steppe
und die sanfteren Thalgehänge hinabtobt. Da plätschert, rieselt,
braust und schäumt die ganze Steppe, wo an jeder Bodensenkung
Wasser hinabgleitet; in die Schluchten stürzen sich zahlreiche Was¬
serfälle, indem aus Acker- und Regenfurchen die kleinen Schnee¬
wässerchen in die Schlucht fallen, deren Erdwände auflösen, tief
einschneiden und dem Schneewasser eine schmutzige Farbe verleihen.
Am lautesten rauscht das Wasser im Hauptthale des Flusses, der
über sein Ufer tritt, durch die unabsehbaren Schilfwaldungen braust,
durch die Gestrüpp- und Baumgruppen der Ufereinfassung schäunck,
die Wölfe zur Flucht zwingt und die zahllosen Enten, Gänse und
Pelikane aus dem Schilfdickicht heraustreibt.
Kaum ist indeß ein Theil des Schneewassers abgelaufen, so stürzt
der Nordwind mit furchtbaren Schneewettern vom Eismeer und dem
Uralgebirge herab, bedeckt die Ebenen, stopft die Bachrinnen, daß
die Wasser stocken und die Wasserfälle verstummen, bis der Süd¬
wind in Regenschauern den Feind angreift, den Schnee verzehrt und
die Wasserbäche wieder belebt. Bei diesem Wechsel der Witterung
verwandelt sich der fette Boden der Steppe in einen Brei, welcher
die Steppe ungangbar macht. Ungeduldig schauen Pferde und Rin¬
der über die Bretterwand des unbedeckten Schuppens, in welchem
sie den Winter hungernd und frierend hinbringen, verlangend strecken
sie den Kopf mit weit geöffneten Nüstern empor, um die Frühlings¬
lüfte aufzufangen; der Wolf und Steppenhund zittern vor Frost in
ihrer Höhle und die Zieselmaus wagt sich noch nicht heraus aus
ihrer unterirdischen Wohnung. Kläglich schreit die Dohle, welche
beim Ausflug mühsam mit dem Sturme ringt: noch ist es still auf
der Steppe wie im Flußthal, denn das Brüllen und Brausen der
Bäche verschlingt jeden Thierlaut. Im Mai endlich behauptet der
Frühling die Oberhand, Schnee und Regenwasser sind verschwunden
und der Schlammboden verwandelt sich in wenig Tagen in ein un¬
absehbares Blumenfeld, denn frisches Gras, hohes krautartiges Ge¬
strüpp wechseln mit meilenlangen Beeten von Crocus, Reseda, Tulpen,
Hyacinthen, Königskerzen, Disteln, Wermuth, Steinklee, Knoblauch,
Weißdorn und Hollunderhecken, aus denen von Tagereise zu Tage¬
reise auch einmal ein verkrüppelter wilder Birn- oder Apfelbaum
seine blätterarmen Zweige erhebt. Jetzt liegt die Ebene überschau¬
bar da 'mit ihren langen Strecken, aus denen nur hier und da ein
Mongolen- oder Todtenhügel, eine Windmühle oder eine Gruppe