Full text: Die Methodik des erdkundlichen Unterrichts (Einl. Teil)

1Ò8 Über Analyse und Synthese, deduktives und induktives Verfahren. 
Das allmähliche Erweitern des Unterrichtsgebietes, das 
„Fortschreiten in konzentrischen Kreisen", wie man in 
der Erdkunde den synthetischen Lehrgang- zu bezeichnen pflegt, 
gestattet ferner eine innige Verknüpfung des neuen Un¬ 
terrichtsstoffes mit dem alten, also eine gute Apper¬ 
zeption. Ist die folgende Landschaft nur eine Erweiterung der 
vorangegangenen, so sind in der Regel zahlreiche Fäden zur 
Anknüpfung vorhanden. Manche Y or s tell un gsr e ill e n und 
Gedankenbeziehungen behalten Geltung; nur neue Gedanken¬ 
maschen werden an die alten geknüpft. Die Granitplatte Finlands 
hängt mit der Skandinaviens zusammen; ganz Nordrussland ist 
gleich Skandinavien und Norddeutschland ein früheres Gletscher¬ 
gebiet ; das kontinentale Klima, das für Russland so charakteristisch 
wird, lernten wir schon bei Schweden kennen, und die Ostsee 
verknüpft die Lebensinteressen aller baltischen Länder. So empfiehlt 
es sich aus manchen Gründen,, die Lehreinheit „Russisches Tiefland'4 
nach der Lehreinheit „Skandinavien" zu behandeln. Nur durch 
eine solche zweckmässige Verbindung der Lehreinheiten 
entsteht eine gute Apperzeption, die allein vor dem schnellen 
Verges sen des neuen und alten Lernstoffes schützen kann. 
Der synthetische Lehrgang gestattet drittens eine grössere 
Teilnahme des Schülers am Un ter rie lite. Die Vor¬ 
stellungen und Erkenntnisse wachsen ans dem Unter¬ 
richte hervor; die Schüler helfen sie mit gewinnen, 
während ihre Tätigkeit bei der Anwendung des analytischen Ver¬ 
fahrens fast ganz ausgeschaltet wird, weil sie das Allgemeine, von 
dem der Lehrer ausgeht, nicht zu überschauen vermögen Wie das 
Kind in einer Landschaft nur Einzelerscheinungen und an 
diesen auch nur wenige, besonders auffällige Merkmale sieht und 
nur solcher sich erinnert, wie jeder von den lückenhaften Erinne¬ 
rungsbildern der Jugend weiss*), so fällt es dem jugendlichen 
Geiste auch unendlich schwer, ein grösseres Ge¬ 
dankenfeld zu überschauen. Der Schüler muss gleichsam 
schrittweise geführt werden, von Erscheinung zu Erscheinung, von 
Beobachtung zu Beobachtung, von Erfahrung zu Erfahrung, von 
Erkenntnis zu Erkenntnis, bis sich schliesslich das Bild des Ganzen 
gestalten bezw. das allgemein gültige Gesetz aufstellen lässt. So¬ 
bald sein körperliches, sein geistiges Auge nicht mehr zu folgen 
vermag, hört auch sein geistiges Interesse fast ganz auf. 
Das eingeprägte Wissen bleibt ein Wort wissen. Da es nicht 
aus dem Schüler heraus geboren wurde, liegt es ihm gleichsam als 
etwas Fremdes auf der Zunge, die beim Schwatzen nur über den 
eigentlichen dürftigen Geistesinhalt zu täuschen sucht. Damit die 
*) Von der ersten Reise, die ich mit dem Vater im Alter von etwa 
4 Jahren machte, erinnere ich mich bloss, dass wir in einem Walde von einem 
Wagen abgeholt wurden, um zu dem Gute des Grossvaters zu fahren, und dass 
hei unserer Ankunft ein Hahn auf einem kleinen Hügel stand und krähte ; vom 
Gute selbst nnd von der Gegend, wo es lag, habe ich nicht die geringste 
Erinnerung.
	        
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