18 Abgrenzung und Benennung der erdkundlichen Lehreinheiten.
fache eine Fessel angelegt, die seine weitere Entwickelung sehr
beeinträchtigte. Das natürlich Zusammengehörige wurde
auseinandergerissen, der Nebenfluss von dein Hauptflusse,
das eine Flussufer von dem anderen, das Seitental von dem
Haupttale, die Gebirgsausläufer von der Hauptgebirgsmasse u. s. w.,
wenn die oft sehr willkürlich gezogenen Landesgrenzen solche
Trennungen verlangten. Die einzelnen erdkundlichen Gegen¬
stände in ihrem ursächlichen Zusammenhange zu be¬
trachten, war infolgedessen unmöglich. Der Unterricht
musste sich damit begnügen, die Tatsachen als feststehende zur
Kenntnis zu bringen, ohne nach ihrem Ursprünge auch nur zu
fragen. Die grosse Vernachlässigung der physischen
Erdkunde und die übermässige Ausdehnung der politischen sind
die Hauptkennzeichen jener Periode, in der die Lehreinheiten nach
politischem Gesichtspunkte abgegrenzt und benannt wurden. Eine
andere Erscheinung im erdkundlichen Unterrichte, die ebenfalls
seinen bildenden Einfluss schmälerte, hing hiermit enge zusammen ;
es ergab sich eine übermässige Anhäufung des Gedächt¬
nisstoffes, die noch dadurch gefördert wurde, dass man dieses
Unterrichtsfach als Diener des Geschichtsunterrichts dazu miss¬
brauchte, die Kenntnis einer Unmenge von geschichtlichen Ereig¬
nissen zu vermitteln. Der Erfolg eines solchen Unterrichtes, der
sich auch nicht die geringste Mühe gab, die vermittelten Kennt¬
nisse in einen ursächlichen Zusammenhang zu bringen, konnte nur
ein äusserst mässiger sein. Anstatt in die fest verknüpften
Maschen des Geistes eingefügt, schwebten die erdkundlichen Kennt¬
nisse gleichsam in einer Luftblase, bei deren Platzen sie sich, wie
die Spreu im Winde, im Dunstmeere des Vergessens verloren.
Und dieses Platzen, das Herabsinken der Vorstellungen unter die
Schwelle des Bewusstseins für immer, trat bei jedem meist sehr
bald ein. Doch auch die spärlichen Erinnerungen, die übrig
blieben, was für einen Wert hatten sie für das Leben und für die
weitere geistige Ausbildung des einzelnen Menschen? Welchen
Nutzen sollte z. B. die Einprägung sämtlicher Kantone der Schweiz
oder all der Staaten und Territorien der „Vereinigten Staaten von
Amerika" oder aller am Rhein gelegenen Städte und Städtchen
oder endlich aller Inselnamen der kleinen Antillen haben? Die
meisten Leser werden sich ähnlicher Leistungen, die in der Jugend
von ihnen im erdkundlichen Unterrichte verlangt wurden, erinnern.
Wie viel ist nicht in dieser Hinsicht gesündigt worden, weil der
einheitliche Gesichtspunkt fehlte, nach dem der erdkundliche Lehr¬
stoff seinen inneren Beziehungen gemäss geordnet werden konnte.
Die politischen Lehrgebiete stellen eben eine Abgrenzung dar, die
sehr oft das Wesen der erdkundlichen Erscheinungen ganz unbe¬
rührt lässt.
Eine Änderung in den Anschauungen über die Aufgabe der
Erdkunde, sowie über den Wert, die Anordnung und Abgrenzung
ihrer Lehrstoffe bahnte Karl Ritter an. Fussend auf der Er¬