Die westlichen Hauptalpen.
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Die oberste Stufe oder die Region des ewigen
Schnees. Sie reicht im allgemeinen bis 2600 m herab, doch
wechselt die Schneegrenze etwas je nach den örtlichen klimatischen
Verhältnissen.
Von einer Kulturausnutzung dieser Schnee- und Eisgegenden,
wo kein Frühling blüht, wo es kein Pflanzen- und, im strengen
Sinne genommen, auch kein Tierleben giebt, kann keine Rede sein.
Trotzdem kann von einer Bedeutung derselben für menschliche
Kultur gesprochen werden, insofern nämlich die Gletscher im
Haushalte der Natur eine grosse Rolle übernommen haben. Diese
sind zunächst die unerschöpflichen Speisebecken der Flüsse. Die
zeitweise in grosser Fülle niedergehenden Niederschläge werden in
der Eisregion des Hochgebirges aufgespeichert für spätere Zeiten:
denn die Thalwanderung der Schneemassen durch die Gletscher
ist eine ungeheuer langsame im Vergleich zum schnellen Abfluss
des Regens, der besonders im Hochgebirge nur Stunden gebrauchen
würde, und verteilt sich, von den langsam sich vollziehenden Wärme¬
schwankungen abhängig, gleichmässiger auf das ganze Jahr. Nur
durch den warmen Föhnwind, den wir in seinen Ursachen'später
kennen lernen wollen, wird die Schneeschmelze zuweilen sehr be¬
schleunigt. Sonst ist diese im allgemeinen am stärksten im Früh¬
ling und Sommer, also in der Zeit, wo das Wasser der fliessenden
Gewässer den meisten Nutzen bringt. Dann sind die echten Alp en-
flüsse wasserreich, während andere beinahe versiegen. Durch
ihren gleichmässigen Wasserstand werden sie zum dauernden
Segen der Landschaften, die sie durchfliessen.
Die Schnee- und Eisbedeckung der obersten Alpenregion
hat noch eine andere grosse Bedeutung und zwar für die un¬
mittelbar angrenzenden Kulturgebiete. Die Gletscher regeln
nicht bloss den Wasserabfluss, sondern auch die Geröllabfuhr.
Sie tragen die Felstrümmer der Berge als Obermoräne langsam
mit sich fort und zermalmen sie als Grundmoräne zu fruchtbarem
Erdreich. Dadurch wird einerseits ein Überfluten und Über¬
schütten der von den Menschen bewohnten Thäler, soweit die
höchsten Regionen dabei beteiligt sein könnten, mehr oder weniger
verhütet, anderseits neuer Kulturboden gebildet, dessen Ablage¬
rung der Mensch nur zu regeln braucht. Die Schnee- und Eis¬
region der Alpen schützt und fördert also die Kultur¬
fähigkeit der Alpenthäler.
Die mittlere Stufe oder die Region der alpinen Ge¬
wächse und des Knieholzes, sowie der hochgelegenen
Grasmatten. Sie reicht etwa bis 1800 m, der Baumgrenze herab.
Das Knieholz erhält sich etwa bis 2300 m aufwärts. Dann haben
allein die alpinen Gräser und Kräuter die Herrschaft, und noch
höher hinauf erhalten sich nur Moose und Flechten als dürftiger
Schmuck des Felsbodens.
Unter den alpinen Gewächsen zeichnen sich manche durch
die Pracht ihrer Blüten aus, besonders die Alpenrose, die im