Full text: Die Landschaften Europas (Bd. 2)

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auf und überließ sie wieder seiner Mutter. Da begannen denn die Miß— 
handlungen wieder schlimmer als zuvor. Gudrun mußte am Meeres— 
strande im rauhesten Winter Gerlindens Kleider waschen; aber auch diese 
äußerste Demütigung ertrug sie, um ihrem herwig treu zu bleiben. Frei— 
lich erweckte die Verzweiflung in ihr bisweilen harten Trotz, so daß sie 
sprach: „Ich soll einmal nicht glücklich sein, so wollte ich denn, ihr be— 
handelt mich noch schlechter;“ aber einen Trost hatte sie doch an der 
treuen hildburg, die durch vieles Bitten die Erlaubnis erlangte, läglich 
Gudrun an den Meeresstrand zu begleiten. 
9. Im Friesenlande wuchs unterdessen ein neues Geschlecht heran, 
und Königin hilde, der die Sorgen das haar gebleicht hatten, sann un— 
ablässig auf den Kache- und Befreiungszug. Endlich, als das vierzehnte 
Jahr seit Gudruns Entführung herankam, sandte hilde Boten an herwig 
und ihren Sohn Ortewin und alle ihre Dienstmannen, vor allen an Wate, 
Frute und horand, und berief ein gewaltiges heer, das mit einer wohl— 
gerüsteten Flotte gleich nach Anfang des Jahres die Fahrt nach der Nor— 
mandie antrat. Aber die kampfmutigen Krieger hatten mit vielen Schwierig— 
keiten zu ringen, ehe sie jenes Land erreichten. Zuerst wurden sie von 
widrigen Winden hoch nach Norden in das finstere und unbewegliche 
Lebermeer verschlagen, wo der Magnetberg sie für immer festzuhalten 
drohte; endlich nach langen Tagen verzog sich der Nebel, und ein günstiger 
Cuftzug trieb sie wieder in klares und flüssiges Wasser. Aber da erhob sich 
ein schwerec Sturm, der sie endlich nach vielen Gefahren an eine unbekannte 
Küste warf; hier mußten sie, um sich von den überstandenen Mühselig— 
keiten zu erholen, sich eine Rast von einem Tage gönnen. Als aber einer 
der Krieger einen riesigen Baum erkletterte und in weiter Ferne Ludwigs 
Burg erkannte, da ließ es Ortewin und herwig nicht länger Ruhe; sie 
erboten sich, während das übrige heer noch rastete, in Fischerkleidung in 
die nahe Normandie zu gehen, um zu erfahren, ob Gudrun und die mit 
ihr Entführten noch am Leben seien. Dringend riet selbst Wate von dem 
verwegenen Unternehmen ab, aber in Ortewin und herwig war die Sehn— 
sucht zu mächtig, und gerade die Gefahr lockte die helden. 
10. Der armen Gudrun war ihr Los inzwischen nicht erleichtert wor— 
den. Aber als sie eines Tages, um den Eintritt der Frühlingszeit, wieder 
mit hildburg am Strande wusch, siehe, da kam ein Schwan geschwommen, 
und der begann mit menschlicher Stimme zu reden und gab Gudrun auf 
ihre Fragen Auskunft über hilde und alle helden in der heimat; zugleich 
verhieß er ihr für den folgenden Morgen das Eintreffen zweier Boten aus 
dem Friesenlande. Das war die erste Freude seit langer Zeit, und fröhlich 
nahmen die beiden Jungfrauen abends ihr kärgliches Nachtmahl ein und 
legten sich dann getrost auf ihre harten Bänke. Aber sie konnten nicht
	        
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