Full text: Die Provinz Hessen-Nassau (H. 2)

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Hain und die unteren Täler der Schwalmzuflüsse Antreff und Grens. 
Die Mündungen dieser beiden Flüßchen bilden etwa den natürlichen 
Mittelpunkt der Schwalm, die im ganzen das Gebiet von ungefähr 
dreißig Dörfern umfaßt. 
Diese aus flachen Hügeln und weiten Talgründen gebildete 
Landschaft ist eine der gesegnetsten Gegenden unserer Provinz. Da 
die kleinen Flüsse von den allmählich verwitternden Bergen in der 
Nähe die fruchtbarsten Bestandteile ins Schwälmer Ländchen hinab- 
schwemmten, so ist der Boden desselben außerordentlich ergiebig. 
„Wenn man den Finger in den Boden steckt, wird er fettig." sagt 
wohl der rechte Schwälmer Bauer. Man sieht iu der Schwalm 
üppige Getreidefelder mit prächtigen Wiesenauen wechseln, sieht Herden 
des schönsten Milchviehs, wohlgenährte Pserde, freundliche, große 
Dörfer und ein Volk, das noch die volle Eigenart in Sitte und 
Tracht bewahrt hat. 
Die meist zweistöckigen Häuser der Dörfer sind aus Fachwerk erbaut. 
Frei und fest, wie der Schwälmer Bauer auf seiner Scholle sitzt, so steht auch 
sein Haus auf mächtigen Sandsteinen, von denen einer, der „Namenstein", in 
wenigen Worten den Besitzer und das Jahr der Erbauung anzeigt. Die Balken 
zeigen durchweg geschnitzte Verzierungen; die zwischen ihnen liegenden Flächen 
sind weiß getüncht und mit allerlei Malerei und ernsten und heiteren Sprüchen 
geschmückt. Tritt man in ein Schwälmer Haus, so gelangt man zuerst in den 
mit Steinen belegten Flur, an dessen Wänden häufig Peitschen und Geschirre 
hängen. Hinter dem Flur liegt die Küche. Ein mächtiger Herd nebst großem 
Kessel nimmt einen breiten Raum derselben ein. Im Tellergestell an der 
Wand, das durch den Küchenschrank noch nicht verdrängt wurde, stehen Reihen 
von irdenen Tellern und Schüsseln, mit Sinnsprüchen verziert. Eine Tür 
führt aus der Küche in den Garten. Neben der Küche liegt die Wohnstube. 
Sie zeigt eine gewisse Nüchternheit und hat weiß getünchte Wände mit blauer 
Borte. An den Wänden sind Bänke aufgestellt. Die Stühle haben geschnitzte 
Lehnen. Der eichene Tisch ruht auf dicken, gedrehten Beinen und zeigt eine 
weiß gescheuerte Platte. Vor den Fenstern stehen auf blau gestrichenen Ge- 
simsen mehrere Blumenstöcke. Neben der Stube ist der Schlafraum, in welchem 
das hohe „Stollbett" mit blauweißen Vorhängen nicht fehlen darf. Die „gute" 
Stube liegt im zweiten Stock. An den Wänden stehen Truhen, die blau oder 
braun angestrichen sind und als Verzierungen weiße Herzen oder Sterne zeigen. 
In diesen Truhen liegen große Leinenschätze. Geschnitzte Eichenschränke, oft 
mit Einlegearbeit, bergen die vielen Röcke, Mäntel und andern Kleidungs- 
stücke. Auf dem Tische liegt die Schwälmer Bibel. Der dicke Band, dem 
gewöhnlich das Gesangbuch eingefügt ist, wiro durch eine Messingspange ge- 
schlössen. Häufig stehen in der Stube auch Spinnräder und in einer Ecke 
Regenschirme, deren Rohrstäbe mit buntgewürfeltem Leinen überzogen sind. 
Die Schwälmer find hohe, kräftige Gestalten. Im Gegensatz zu den 
meisten übrigen Hessen haben fie in der Mehrzahl dunkle Augen und braunes 
Haar. In früherer Zeit trugen die Männer das Haar bis über den Nacken 
herabhängend; jetzt wird es überall kurz verschnitten. Die Tracht der Schwälmer 
ist eigenartig und malerisch. Die Männer tragen für gewöhnlich einen langen, 
blauen Kittel, der die kurze, leinene Hose überdeckt. Am Kragen und an den 
Achseln ist der Kittel durch Stickerei verziert. Den Kopf bedeckt eine schwarze 
Pelzmütze mit herabhängender Troddel. Die Halbschuhe werden durch Messing- 
schnallen geschlossen. Die Strümpfe sind von Gamaschen überdeckt. In viel 
prächtigerer Kleidung erscheint der Schwälmer bei sestlichen^Gelegenheiten, 
Statt der einfachen, schwarzen Pelzmütze trägt er dann die „Sammetfekapp", 
auch „Otterkapp" genannt, zur Sommerzeit jedoch auch wohl einen kleinen, 
hellen oder braunen Filzhut. Die „Sammetfekapp" ist mit Otterpelz umgeben
	        
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