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Prosa heft VII.
bodenständigen, aus dem Empfinden der Gegenwart fließenden Kunst ist
an allen Enden sichtbar, vor allem in den bildenden Künsten und in
der Architektur, wo die Kunst mit den Bedürfnissen der Wirklichkeit
in die nächste Berührung tritt. Die Überlieferungen des Jmitations-
klassizismus sind überall gebrochen, wie denn auch in der Schule
seine Überreste im Weichen sind.
Ob wir eine große, in den Tiefen unseres Einzellebens wurzelnde
Kunst haben werden? Ob unser Volk neuen Gehalt und neue Formen
aus seinem innersten Wesen mit schöpferischer Kraft hervorbringen wird?
Ob es sich fähig erweisen wird, von dem Fremden das Assimilierbare
sich anzueignen oder das andere abzustoßen? Niemand vermag es zu
sagen. Nur das eine darf man sagen: ist das deutsche Volk mitsamt
seinen Nachbarvölkern noch zu langem Leben berufen — eine Sache nicht
des Wissens, sondern des Glaubens — so wird es auch wieder eine
allgemein anerkannte und empfundene Welt der Ideale besitzen — ohne
solche kann ein Volk nicht auf die Dauer leben; und diese Idealwelt
wird sich auch wieder eine sinnliche Darstellung in Werken der Kunst
schaffen. Welche Gestalt diese Kunst der Zukunft, die nicht bei der
Gelehrsamkeit zu Lehen geht, haben wird, das liegt jenseits aller histo¬
rischen Prophetengabe. Eines allerdings drängt sich auf: die Enge des
intellektuellen Lebens, welche die Fruchtbarkeit und Sicherheit der schöpfe¬
rischen Phantasie so sehr begünstigt, kommt nicht wieder: Göttergeschichte
und Sage, die mit ihren Jdealgestalten der Kunst der Vergangenheit
den Stoff darboten, können nicht aufs neue entstehen. Und noch eins kann
man sagen: aus der Sphäre des Luxus wird die neue Kunst nicht
kommen, der Luxus ist der Feind der Kunst, er zerstört, nach Goethe,
die Phantasie. Auch wird es nicht eine Kunst bloß um der Kunst
willen sein, l’art pour l’art; ideenlose Virtuosität, glatte Nachahmung
der Wirklichkeit, leeres Spiel einer ins Kraut geschossenen wilden Phan¬
tasie wird nie volkstümlich sein. Eine große nationale Kunst und
Dichtung kann nur aus dem starken und elementaren Empfinden der
Volksseele hervorbrechen, und in diesem Empfinden bildet ein leiden¬
schaftliches, sittliches Empfinden, ein Drang zur Erhebung und Erhöhung
des Lebens den stärksten Einschlag. Gewiß soll die Kunst nicht Moral
predigen, aber eine Kunst und Dichtung, die gegen sittliche Ideen gleich¬
gültig ist, wird nie zum Herzen des Volkes sprechen.
26. Pas landschaftliche Puge.
W- H. Riehl, Kulturstudien aus drei Jahrhunderten. (Stuttgart,
I. G- Cottascher Verlag.)
In topographischen Büchern ans der Zopfzeit kann man lesen, daß
Städte, wie Berlin, Leipzig, Augsburg, Darmstadt, Mannheim in einer
„gar feinen und lustigen Gegend" liegen, wo hingegen die malerisch