76 Geschichte der alten Welt. §. 100.
sammlungen beschlossen wurden, und schlug die Beamten vor, die das
Volk zu wählen hatte. Statt eines Königs regierten zwei Consuln, die all-
jährlich neu gewählt wurden, den Staat, besorgten die Rechtspflege und waren
un Krieg die Anführer des Heers. Nach ihnen wurde das Jahr im Kalender
bezeichnet. Nur im „Opferkönig", der unter der Oberaufsicht des Se-
nats alle auf Staatsreligion und Cultus sich beziehenden Angelegenheiten be-
sorgte, blieb der Köniastitel bestehen, „damit nicht die Götter den gewohnten
Vermittler vermißten." Zu diesen und allen andern Stellen hatten bloß die
Patrizier Zutritt. Der junge Freistaat hatte große Kämpfe von Innen und
Außen zu bestehen. Unter den ersten Consuln Brutus und Collatinns
bildete eine Anzahl junger vornehmer Römer eine Verschwörung, um die ver¬
triebene Königsfamilie zurückzuführen. Als dieselbe entdeckt wurde, bestrafte
der strenge Brutus die Schuldigen, darunter zwei seiner eigenen Söhne, mit
dem Tode. p Die größte äußere Gefahr drohte den Römern von dem Etrusker-
König Porsenna, dessen Hülfe Tarquinius anrief, und der den I a n i e u l u m -
Hügel auf dem rechten Tiberufer besetzte. Von dort wollten ihn die Römer
vertreiben, wurden aber zurückgeschlagen und nur durch die Tapferkeit des
-voranus Cocles, welcher die hölzerne Tiberbrücke vertheidigte, gerettet. Als
vre Römer in Sicherheit waren und die Brücke abgehauen hatten, sprang
Cocles mit Rüstung und Waffen in den Strom und schwamm ans jenseitige
Ufer. Zum Dank setzte ihm in der Folge die Republik ein Standbild und
schenkte ihm so viel Land, als er an einem Tage umpflügen konnte. Ein an-
art-r^r Römer, Mucius Scävöla, begab sich in das etruskische Lager mit der
absicht, den König zu ermorden. Der Sprache kundig, gelangte er in den
innern Raum, wo das königliche Zelt stand. Aber aus Jrrthum erstach er
anstatt des Königs einen stattlich gekleideten Diener. Als ihn hierauf Por-
lenna durch Drohungen zu Geständnissen zwingen wollte, streckte Mucius die
rechte Hand in ein neben ihm loderndes Opferfeuer zum Beweis, daß er
weder Schmerzen, noch Tod scheue. Davon erhielt er den Namen Link Hand
l.S c ä v o l a). Erschreckt durch solche Beweise von Tapferkeit und Vaterlands-
bebe, schloß, wie die geschichtliche Überlieferung meldet, Porsenna eilig Frieden
und zog ab Doch mußten ihm die Römer den dritten Theil ihres Landes
abtreten und Geiseln stellen. Auch die Vejenter und der Latin erb und
wgen für die Tarquinier ins Feld. Da begegneten sich Brutus, der Stifter
des Freistaats, und Aruns Tarquinius int Kampfe und tödteten sich ge-
genseitig. Im Krieg gegen die Latiner stellten die Römer zum erstenmal einen
Diktator auf, der über den_ Consuln stand und unbeschränkte Gewalt in der
Stadt und im Felde besaß. Ein solcher Dietator oder „Gebieter" wurde nur in
Zeiten der Roth und Gefahr auf sechs Monate ernannt und legte nach Beseitigung
derselben sein außerordentliches Amt nieder. Die Ernennung geschah durch
den Conlul in stiller Mitternachtsstunde unter religiösen Gebräuchen.
§• Als alle Versuche des Tarquinius, seine Königswürde wieder
zu erlangen, gescheitert waren, begab er sich nach Cumä in Ünteritalien, wo.
er starb. Nun beherrschten die Patrizier den Staat, und da sie die Wieder-
kehr der Königsfamilie nicht mehr zu fürchten hatten, so ließen sie die bisher
bewiesenen Rücksichten gegen die Plebejer aus dem Auge und bedrückten sie
durch ihre harten Schuldgesehe. Die Plebejer mußten von ihrem kleinen
Eigenthum Grundsteuer entrichten und waren zum Kriegsdienst ohne
Sold und mit Stellung der Waffen und Rüstung verpflichtet. Standen sie
im Feld, so wurde daheim ihr Ackerland schlecht bestellt; Mißernten erzeugten
Verarmung, und um der augenblicklichen Roth zu entgehen, machten sie bei
den reichern Patriziern Schulden. Wenn nun der Plebejer den hohen Zins