39. Die Niederungen des Weichseldeltas.
193
39. Die Niederungen des Weichseldeltas.
Nördlich von Marienburg breitet sich eine große Niederung aus, welche
der „Werder" heißt. Unter einem Werder aber hat man sich ein von Flüssen
oder Flußarmen umschlossenes Stück Land zu denken. Hier im Mündnngs-
gebiete der Weichsel unterscheidet man 3 einzelne Werder, nämlich den „Großen"
oder „Marienburger" Werder (westlich von der Nogat), den „Elbinger" Werder
(östlich von der Nogat) und den „Danziger" Werder (zwischen der Mottlau und
dem Westarm der Weichsel). Diese niedrig gelegenen Landstriche, die vor etwa
1000 Jahren sich erst gebildet haben, gehören zu den fruchtbarsten Europas.
Aber höchst einförmig ist das Land, nnd die weite Ebene zeigt weder Berg,
noch Hügel, noch größeren Waldbestand. Einige Unterbrechung bringen nur
die hier und da auftauchenden Kirchtürme hervor, sowie die Reihen krausköpfiger
Weideu, welche die Landstraßen einfafsen. Eine Feldslur gleicht genau der
anderen; ein Dorf sieht dem anderen zum Verwechseln ähnlich. Selbst die Wege
unterscheiden sich so wenig von einander, daß nur der Einheimische imstande
ist, sich zurecht zu finden.
Die Werder, welche zusammen 1500 qkm enthalten, verdanken ihre große
Fruchtbarkeit einer schwarzen, lehmigen Erde, welche in dieser Gegend „Pech"
genannt wird. Es ist ein Marsch- oder Schlickboden, zurückgebliebener
Fluß- und Meerschlamm, mit allerlei Überresten von Pflanzen und Mnfcheln
gemischt. Als die weite Ebene in früherer Zeit noch nicht durch Deiche
gegen Überschwemmungen geschützt war, bildete sie ein großes Sumpfgebiet.
Erst unter den Deutschherren, die sich seit 1230 im heutigen Westpreußen fest-
gesetzt hatten, wurde (um das Jahr 1300) das Riesenwerk der Entwässerung
und Eindämmung in Angriff genommen. Mehrere tausend Menschen waren
dabei beschäftigt und führten in der knrzen Zeit von 6 Jahren an 180 km
Dämme auf. So wurde zunächst ein Gebiet von 900 qkm, der Marienburger
Werder, für den Dienst der Menschen gewonnen. Bald daraus folgte die Eut-
Wässerung der beiden anderen Werder. Seine Bewohner erhielt das neue Land
aus Niedersachsen nnd Flandern. Ein paar Jahrhunderte später zogen viele
vor der Tyrannei Albas aus Holland flüchtende Mennoniten hier ein.
Das Alluvialland (Schwemmland) der drei Werder wird von etwa 60000
Menschen bewohnt. Drei Zehntel davon gehören dem slavischen Stamme an
und sind die Nachkommen jener polnischen Leibeigenen, die im 15. und 16. Jahr-
hundert ihren polnischen Zwingherren entflohen, um bei den deutschen Ansiedlern
in Dienst zu treten. Als Tagelöhner („Jnstleute" geuannt) oder zum Gesinde
gehörige Glieder des Hauses macheu sie den größten Teil der dienenden Klasse
jener Gegend aus. Die anderen sieben Zehntel der Werderbewohner — stark-
Nmschau in Heimat und Fremde. I. 13