Elsaß und Deutsch-Lothringen. XIII
ohne alle Fürsorge gelassen hatte. Sie wurden zu einem Schutzverhältniß genöthigt,
das nicht viel weniger als Unterthänigkeit war und in eine solche durch den westfälischen
Frieden (1648) definitiv verwandelt wurde. Ein Anschlag Heinrich's II. auf Straßburg,
diesen anderen „Schlüssel zum deutschen Reiche", war zwar mißlungen: aber die
von Richelieu erstrebte und besonders nach dem Tode des Herzogs Bernhard von Weimar
mit der Besetzung von Alt-Breisach (1639) sicher gewonnene Rheingrenze wurde bei
der Erschöpfung Deutschlands durch den Frieden von Münster (1648) bestätigt, indem
das Haus Habsburg die Landgrafschaft im Ober- und Nieder-EIsaß, die Stadt Breisach,
den Sundgau und die Landvogtei Hagenau an Frankreich überließ. Die durch dieselbe
Macht ertrotzte, dunkel und unbestimmt gehaltene Fassung dieser Abtretungen bewirkte,
daß Ludwig XIV., der durch den Frieden von Nimwegen (1678) das Uebergewicht über
Europa erlangt hatte, die Souveränetät auch über alle reichsunmittelbaren Gebiete
im Elsaß in Anspruch nahm, und dieser seiner Auslegung des Münsterischen Friedens
durch die berüchtigten Neunionen sofort einen praktischen Ausdruck gab. Am 30. Sep-
tember 1681 capitulirte auch das „wehrlose" Straß bürg, dessen Bürger sonst als
„Rebellen gegen ihren rechtmäßigen Herren" behandelt worden wären. Dem
durch die Türkengefahr erzwungenen 20 jährigen Waffenstillstand von Regensburg (1684)
folgte der Krieg wegen der Reunionen, der mit dem Frieden von Ryswijk (1697) dem
isolirt gelassenen Deutschland die Aufgebung von ganz Elsaß mit Straßburg an
Frankreich aufnöthigte. In derselben Lage befand sich das Reich am Ausgange des
spanischen Erbsolgekrieges. Die englischen Toryminister ließen geschehen, daß trotz des
„geheiligten Königswortes", trotz der „unter dem großen Siegel des
Landes verpfändeten Ehre von England", der Ryswijker Friede den Verträgen
von Utrecht (1713) und Rastatt (1714) zu Grunde gelegt, somit Metz, Toul und
Verdun, gleichwie das Elsaß mit Straßburg, ja selbst noch Landau, den Franzosen
belassen wurden. Lothringen, seit Jahrhunderten eine Vormauer Deutschlands, blieb
dadurch vereinzelt in einer militärisch unhaltbaren Stellung; seine Einverleibung in
Frankreich, nur als eine Frage der Zeit angesehen, erfolgte in dem polnischen Erbfolge-
kriege. Kaiser Karl VI., der sich nicht mehr zu vertheidigen vermochte, von allen Seiten
bedrängt, von den Seemächten auch diesmal im Stich gelassen, willigte ein, daß sein
Eidam, der Herzog Franz Stefan von Lothringen, auf sein angestammtes Fürstenthum,
dessen Bewohner unter allen Widerwärtigkeiten treu zu ihrem alten Herrscherhause ge-
halten hatten, Verzicht leistete und dafür das Großherzogthum Toskana eintauschte
(Friede von Wien 1738).*) „Die Losreißung der 3 Bisthümer und des Elsaß von
Deutschland war dadurch noch mehr befestigt; das System der militärischen Verteidigung
der französischen Grenzen, das zugleich zum Angriff dienen konnte, vollendet." Wohl
wurde nach dem Sturze Napoleons, zur Sicherstellung Deutschlands, die Zurückerstattung
des Elsaß und des deutschen Moselgebietes von Preußen beantragt und unter Mit-
Wirkung von Bayern und Württemberg lebhaft betrieben, aber Englands und Rußlands
entschiedener Widerspruch, „daß gegen den verbündeten Bourbonen Ludwig XVIII. kein
Eroberungsrecht geltend gemacht werden dürfe", vereitelten damals, da auch Oesterreich
dieser Erklärung der fremden Mächte beitrat, Preußens uneigennützige Bemühungen, der
französischen Eroberungssucht einen stärkeren Damm entgegenzustellen. Der zweite
Pariser Friede (20. Nov. 1815) entzog Frankreich nur den nordöstlichen Theil
von Lothringen (mit Saarlouis), die Grafschaft Nassau-Saarbrücken und die
*) Als Entschädigung für die polnische Krone erhielt Stanislaus Leßcynski, der Schwieger-
vater Ludwig's XVLothringen auf Lebenszeit; doch wurde das Land sogleich in französische Ver-
waltung genommen. Die völlige Einverleibung erfolgte 1766.