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ein jeder leicht sich darüber klar werden konnte, um was es sich in dem
anfangs als bloßes Mönchsgezänk angesehenen Streite denn eigentlich
handle. Diese Schriften fanden, durch umherziehende Buchführer ver¬
trieben, einen reißenden Absatz, und wenn auch die Obrigkeiten die Ver¬
breitung der Flugschriften des Bruder Martin durch Edicte verboten,
so fanden sie doch ihren Weg in die Sellen der Klöster, wie in die Häuser
der Bürger. Daneben wirkten aber mit gleicher Kraft die kräftigen,
leicht zu singenden Lieder Luthers und seiner Freunde, die oft einer
weltlichen beliebten Melodie angepaßt waren und so von schon bekannten
Tönen getragen, sich mit wunderbarer Schnelligkeit über das Land ver-
breheten. Da war es ein einwandernder Handwerksgesell oder ein
heimkehrender Kriegsknecht, der solche Lieder mitbrachte, und oft genug
ereignete es sich, daß in der Kirche die versammelte Menge der päbst-
lichen Predigt überdrüssig plötzlich mit einfiel, wenn ein kühner Mann
eines der neuen Lieder anstimmte. Namentlich war es Luthers Kern-
lieb: „Ach, Gott vom Himmel sieh darein!" mit welchem die Menge
ihre Entsagung vom Pabstthum und seiner Werkheiligkeit kund that.
Auch in unserem Lande ist die Reformation im allgemeinen nur
unter schweren Kämpfen durchgedrungen. Nur in einem Theile des-
selben stellte sich vom Anfang an der Fürst auf die Seite des Evange-
liums. Die jetzige Landdrostei Lüneburg bildete damals ein eigenes
welfifches Theilfürstenthum, das Herzogthum Lüneburg. Hier herrschte
zu jenerZeitHerzog Ernst, einer der wenigen deutschen Fürsten,welche
sich zuerst und mit voller Inbrunst ohne weltliche Nebengedanken derLehre
Luthers zuwandten. Herzog Ernsts Mutter Margarethe war eine
Schwester des Kurfürsten Friedrichs des Weisen, und von ihr war er
in christlicher Zucht und Frömmigkeit auferzogen. Sie war es auch, die
den jungen Prinzen auf die Hochschule nach Wittenberg schickte, wo er
bis zum Jahre 1518 sechs Jahre lang studierte und Luthers fleißiger
Zuhörer war, dessen gewaltige Predigt seine ganze Seele erfüllte. Das
billigte freilich die Mutter nicht, die in ihrem Gewissen ängstlich und
besangen selbst trotz vielfacher Einwirkung ihres Bruders sich vom
Pabstthum nicht lossagen mochte. Doch hinderte sie wenigstens den
Sohn nicht, als dieser zur Regierung gekommen (1521) sich thätig der
Ausbreitung des Evangeliums annahm. Schon im Jahre 1524 bestand
daher in Celle eine protestantische Gemeinde, und zwei Jahre später
folgte Burgdorf nach. Auf dem Reichstage zu Augsburg (1530) unter-
schrieb Ernst mit den anderen evangelischen Fürsten das Augsburgische
Glaubensbekenntnis und ist ihm in guten und bösen Tagen treu ge¬
blieben. So erwarb er sich den schönen Beinamen des Bekenners.
Von Augsburg brachte er sich einen trefflichen Gehülfen in der Person
des Urbanus Rhegius (Rieger) mit, einen seingebildeten und gelehrten
Mann, der früher zu den eifrigsten Schülern von Johann Eck gehört
hatte, nun aber, obwohl nicht persönlich bekannt mit Luther, umso feuriger
von Luthers Lehre ergriffen war. Er war feit 1524Predigerin Augsburg
und hatte hier namentlich im Kampfe gegen Wiedertäufer und andere
Schwarmgeister vollgültiges Zeugnis seiner evangelischen Tüchtigkeit
abgelegt. Ihn zu gewinnen, rechnete sich der Herzog zu großem Glücke.
„Emen unschätzbaren Segen für Land und Leute habe ich mitgebracht",
sprach der Herzog bei feiner Rückkehr nach Celle, „einen Mann von