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Nun begann der Einmarsch preußischer Truppen von Holstein
und Minden aus ins hannöverische Land. Die hannöverische
Armee war Zwar schon vorher durch Einberufungen an Zahl ver-
stärkt, sonst aber durchaus nicht gerüstet; aber da es doch noch
glückte, sie mit Hülfe der Eisenbahnen in Göttingen zu sam-
meln, so konnte sie sich vermittelst der aus dem Arsenal von
Hannover dorthin geschafften Hülssmittel in ein paar^ Tagen
einigermaßen kampffertig machen, da die dorthin folgende feindliche
Armee wegen der unterdes vorgenommenen Zerstörung der Eisen-
bahnen zu marschieren gezwungen war. Von Göttingen aus wollte
der König durch Thüringen ziehend in Bayern zu seinen füd-
deutschen Bundesgenossen stoßen. Und es wäre möglich gewesen,
hätte man nicht die Zeit mit Verhandlungen hingebracht, die,
nun zu spät, vom Könige Georg begonnen wurden und resultat-
los blieben. Preußen warf den Hannoveranern bei Langen-
salza Truppen entgegen (27. Juni), die in aller Eile bei Gotha
durch die Eisenbahn gesammelt waren. Der König entschloß
sich zum Kampfe, obwohl ein großer Theil der Generäle der
Meinung war, daß auch im glücklichen Falle eines Sieges
an ein Durchbrechen nach Bayern nicht mehr gedacht werden könnte.
Da kämpften miteinander Krieger zweier Volksstämme, die im
siebenjährigen Kriege und in den Befreiungskriegen gemeinsamen
Waffenruhm gewonnen hatten, Unterthanen zweier Fürsten, die
wie einst Heinrich der Löwe und Friedrich Barbarossa, Ge-
schwisterkinder und in früheren Jahren durch Freundschaft ver-
Kunden gewesen waren. Glänzend bewährte sich die althannöve-
rische Tapferkeit. Die Hannoveraner siegten, aber Schlacht und
Sieg waren unnütz. Während des notwendigen Ruhetages rückten
neue und neue preußische Truppen an; die Armee sah sich von allen
Seiten eingeschlossen und mußte eapitulieren. Das war das dritte
Mal seit hundert Jahren, daß die Armee — nicht durch ihre Schuld —
solches erleiden mußte. Mit dem Stabe in der Hand kehrten unsere
tapferen Krieger heim.
König Georg begab sich nach kurzem Aufenthalt in Thüringen
nach Wien zu seinem Bundesgenossen, dem Kaiser von Oesterreich,
der ihm schon in Hannover die Versicherung gegeben hatte, daß
Hannover für seine Selbständigkeit nichts zu fürchten habe, so
lange er noch einen Mann auf den Beinen habe. Dieser Schritt
des Königs erregte bei den Hannoveranern große Misstimmnng;
man hatte erwartet, der König werde sich nach Pyrmont begeben
und von dort aus Unterhandlungen mit Preußen beginnen, um
etwa durch eine Abdankung zu Gunsten des Kronprinzen eine
theilweise Selbständigkeit des Königreichs zu retten. Nun folgten
die gewaltigen Schlachten in Böhmen und Mähren, durch welche in
wenig Wochen die österreichische Armee der völligen Auslösung nahe
gebracht wurde. Oesterreich mußte sich glücklich schätzen, ohne Gebiets-
verlust den Krieg beendigen zu können, und scheint keinen ernstlichen
Versuch gemacht zu haben, für Hannover etwas zu thun.
Am 3. Oktober 1866 erklärte König Wilhelm das Königreich Han-
nover als von nun an mit Preußen vereinigt und nahm feierlich davon