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schließt die gefeierte heilige Stätte ein, welche von mehr als SO Lampen 
erleuchtet wird. Die Grabesstelle selbst mißt 2 in in der Länge, 
1 m in der Breite und ist mit einer Platte von rötlichem Marmor 
bedeckt. Das ist also die Stätte, an welcher seit Jahrhunderten 
Millionen von Christen mit innigster Rührung gebetet, heiße Thränen 
dankbarer Liebe geweint und ihre Opfergaben dargebracht haben, 
damit die Lampen vor jenem Grabe nicht erlöschen, das die Finster- 
nis der Welt mit dem milden Lichte des Trostes und der Hoffnung 
auf die Ewigkeit erfüllt hat. 
Ohne daß ich wnßte, wie mir geschah, war ich aus dem heiligen 
Grabe getreten und hatte die Terrasse der Kirche erstiegen, von 
welcher man ganz Jerusalem übersieht. Da lag sie vor mir, die 
Stadt der Jahrtausende, und erschien mir wie die Witwe in ihrer 
Trauer; denn die Jahrhunderte, welche auf ihr liegen, die vor Alter 
sinkenden Ölbäume, die Grabmale mit den weißen Steinen, die 
durchlöcherten Felsen und das zerstreute Gemäuer niahnen genugsam 
an die Last von Begebnissen und Verlusten, die sie seit frühester 
Zeit schon ertragen hat. Der Fremdling meint darum, es sollte 
stille fein in ihrer Mitte wie in einem Trauerhause, und die Menschen 
in den Gassen sollten mit verhüllten Häuptern gehen. Aber auch 
dieses Trauerhaus von Jahrhunderten ist vom Getümmel der Erde 
nicht verschont, und wo man nur stille Klage erwartet und frommes 
Sehnen, da drängen sich Käufer und Verkäufer, zudringliche Führer 
und gieriges Gesindel. — „Sehen Sie," sagte mein Führer zu mir, 
„dieser Weg, der zur Grabeskirche führt, ist die Via dolorosa." 
Hier ist kein Stein und keine Platte, die nicht Zeugen einer großen 
Begebenheit wären. Dieser Raum hat deu Heiligen gesehen in all 
seiner Schmach, ihn, den Verurteilten und Leidenden, den Dorn- 
gekrönten und unter der Last des Kreuzes zum Tode Geführten. 
Welch heilige Erinnerungen sind in diese Steine eingebaut! Wie 
viel tausend Herzen seit Konstantins und Helenas Zeiten haben über 
diesem Anblick geblutet, sind von diesem Anblick getröstet von dannen 
gezogen! „Was willst du klagen, kleine Seele?" so sprach ich zu mir, 
„was ist doch all dein Leid gegen den Jammer, der auf dieser Bahn
	        
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