— 124 —
hältnisse mit größerer Schnelligkeit und Nachdruck umwandeln wollte, den
Germanen Befehle wie Sklaven erteilte und wie von Untergebenen Geld¬
zahlungen forderte, ertrug das Volk es nicht, weil es die gewohnte
Ordnung der Dinge fremder Zwingherrschaft vorzog. Einen offenen Auf¬
stand wagten sie nicht, weil sie sahen, daß die Römer zahlreich am Rhein,
zahlreich auch in ihrem eigenen Lande standen; sondern indem sie Varus
bereitwillig aufnahmen, als würden sie alles tun, was ihnen befohlen
würde, lockten sie ihn weit ab vom Rhein in das Land der Cherusker
und an die Weser. Als er aufbrach, ließen sie ihn vorausziehen und
blieben zurück, angeblich um Bundesgenosfen zu werben und sodann binnen
kurzem zu ihm zu stoßen. Nachdem sie die Hülfsmacht, welche schon an
einem bestimmten Platze bereit stand, herangezogen und die bei ihnen
befindlichen Soldaten getötet hatten, rückten sie auf ihn an, als er schon
mitten in den Waldungen steckte, wo kaum ein Ausweg zu finden ist.
Mit einem Schlage zeigten sie da, daß sie Feinde sein wollten, nicht Unter¬
gebene, und vollbrachten furchtbare Taten. Tenn die Berge waren schluchten¬
reich und zerklüftet, die Waldungen dicht und voll riesiger Stämme, sodaß
die Römer, bevor noch die Feinde sich auf sie stürzten, Not genug hatten
sie zu fällen, Wege zu bahnen und, wo es Not tat. Brücken zu schlagen.
Auch viele Wagen und Lasttiere führten sie mit sich — es war ja Friede;
überdies begleiteten sie nicht wenige Kinder und Weiber und ein zahl¬
reicher Troß, sodaß sie auch deshalb schon ohne Ordnung und zerstreut
marschierten. Dazu kamen, um sie noch mehr auseinander zu bringen,
Regen und starker Wind. Der Boden selbst verstattete ihnen nur unsicheren
Tritt, indem man leicht über Wurzeln und Baumstümpfe fiel; auch die
Äste, welche abbrachen und herunterstürzten, brachten sie in Unordnung.
Während die Römer sich so in hülflofer Lage befanden, umzingelten sie
plötzlich die Barbaren von allen Seiten; immer durch das dichteste
Gestrüpp, da sie ja der Fußpfade kundig waren. Anfangs schleuderten
sie von weitem Geschosse, danach aber, als sich keiner wehrte und viele
verwundet wurden, rückten sie dicht an sie heran. Denn da die Truppen
nicht in geordnetem Zuge, sondern in buntem Gemisch zwischen Wagen
und Unbewaffneten marschierten, konnten sie sich nicht auf einem Punkte
sammeln und waren im einzelnen immer schwächer an Zahl, als die an¬
greifenden Barbaren.
So schlugen sie denn dort, da sie — soweit es in einem dicht¬
bewaldeten Gebirge überhaupt möglich war — einen paffenden Platz
gefunden hatten, ein Lager auf. Die Mehrzahl der Wagen und was
ihnen sonst nicht durchaus notwendig war, verbrannten sie oder sie ließen
es im Stich und zogen am andern Tage in besserer Ordnung weiter, so
daß sie wirklich an eine lichtere Stelle gelangten; doch kamen sie nicht
los, ohne Blut zu lassen. Als sie aber, von dort aufgebrochen, wieder¬
um in die Waldungen gerieten, wehrten sie sich zwar gegen die Angreifer,
kamen aber gerade dabei in nicht geringe Not. Denn indem sie sich auf
einen engen Raum zusammendrängten, damit Fußvolk und Reiterei zu¬
gleich mit voller Macht sich auf den Feind stürzen könnte, hatten sie unter
sich, einer von dem andern und alle von den Bäumen viel zu leiden.